Der Vorteil ist ein seltsames Ding, er kommt und geht vom Einen zum Andern
Wir sind wieder da! Nach einem Kurzurlaub über überraschend viele Jahre, bedenkend unsere Mannschaftspunkte, in der Oberliga, hat uns die Landesliga wieder. Und wir wurden gleich in der ersten Runde von einem unserer Lokalrivalen, nämlich Fischbek, begrüßt – mit einmal voll auf die Zwölf. Aua. (Mehr gibt es nicht zu sagen, da der Berichterstatter aus gesundheitlichen Gründen sofort nach Beendigung seiner Partie verschwand.)
Nun also heißt es, gegen andere Teams zu punkten, ist Fischbek doch zumindest nominell eher unten in der Rangliste. St. Pauli III wurde hingegen als stärker als wir eingeschätzt, das sollte doch Motivationsschub geben? Ja, gab es. Bis Freitag. Ältere Mitglieder des Vereins werden sich vielleicht noch an Gerüchte erinnern, dass wir mal drei Tage vor einem Spiel wussten, wie wir antreten dürfen, dieses Mal sollte es aber nicht so sein. Und um ausgerechnet einmal eine der ausgerechnet abgedroschensten Sportreporterphrasen zu nutzen, dieses Mal war es ausgerechnet Luis, den ein Virus erwischte. Nicht DER Virus, aber ein symptomähnlicher Cousin. „Ausgerechnet“, da er sich auf ein Wiedersehen mit den alten Kollegen gefreut hatte und sie sich auf ihn. Also musste Matthias mal wieder tief in die Kiste mit den Ersatzspielern greifen. Und so kam es, dass wir bei St. Pauli III auf all die seit Jahren bekannten Thomaschkes und Davids und Knechts trafen, sie uns aber etwa hälftig in „Nasen, die wir noch nie gesehen haben“ und „Nasen, die wir nie wieder sehen wollten“ unterteilen konnten. Apropos „Nasen“: schönen Dank an Türsteher Detlef, der nicht nur die Reinheit der Nasen, sondern auch den Impfstatus der Spieler überprüft hat.
Für dieses ansonsten an Brisanz kaum zu untertreffende Spiel entschied sich die Verbandsobrigkeit, mit Jens Wolter einen der höchstrangigen verfügbaren Pfeifinatoren einzusetzen, der folgende Spiele stets im Griff hatte:
Thomas Kahlert (2158) – Jens Ove
Esmat – Dirk Thomaschke (2171)
Carsten Kluth (2121) – Adesh
Matthias – Jakob Goepfert (2098)
Daniel Otis Thieme (2011) – Martin
Marten – Torsten David (2067)
Djamschid Hedayat-Nassab (2087) – David
Rainer L. – Guntram Knecht (2003)
Und dann ging es los. Zunächst einmal tastete man sich ab. Also mit Abstand und Maske, versteht sich, nicht physisch, mehr so virtuell. Bis auf Brett 7 – David hatte bei der Vereinsmeisterschaft am Donnerstag einen neuen Trick kennen gelernt, den er gleich noch einmal probieren wollte. Der Trick? Zweiter Zug vorm ersten. Um es kurz zu machen, die Stellung war praktisch sofort tot, und auch wenn David sich wehrte und versuchte, irgendwie an Spiel zu kommen, so schob Djamschid entspannt die Klötze und brachte die Stellung nach Hause, woran nie ein Zweifel bestand. 0:1 für die Gäste.
Der Rest kam aber anständig aus den Startlöchern. An den vorderen vier Brettern, die wir ja traditionell gewinnen wollen, sahen wir vier aus unserer Sicht schöne Stellungen. Mit dem Caveat, dass Jens Oves Stellung mal wieder nicht zu überschauen war, in Thomas hatte er einen kongenialen Partner bei der Erzeugung von Chaos gefunden und die Jungs hatten ihren Spaß. Der schnell zu Ende sein konnte, Taktiken gab es mehr als genug.
An den hinteren Brettern stand Martin solide und suchte nach dem richtigen Hebel, bei Marten stellte sich die Frage, ob der b-Bauer eher ein starker Freibauer oder eher ein schwacher Isolani sein würde, dafür aktives Figurenspiel, und Rainer spielte in seinem zweiten Landesligaeinsatz erst einmal richtig gut und solide – bissel mehr Raum, bissel mehr potenzielle Angriffspunkte, viel mehr Zeit auf der Uhr. Hier und Heute (bzw. Dort und Damals, da ich diesen Bericht erst im Nachhinein schreibe) könnte etwas für uns drin sein.
Aber was würde dran sein am drin sein? Zunächst wollte das Martin auf die Probe stellen und versuchte, die nach f3 und h3 etwas felderschwächig wirkende weiße Rochade mit seinen Leichtfiguren anzupieksen. Leider waren es nur zwei Nadelstiche – Daniel am anderen Ende übersah leider alle Möglichkeiten, taktisch in Nachteil zu geraten, und stellte stattdessen mit der Aussperrung der lauernden Dame auf einmal zwei Figuren (Läufer und Dame) gleichzeitig auf ungedeckt, was in Verbindung mit klassischen Motiven zu entweder Läufer- oder Bauergewinn führen würde. Martin entschied sich dafür, mit Wenigerbauern weiterzuspielen, aber auch er sollte nicht wieder in die Partie zurückkommen und einige Zeit später das 0:2 signieren müssen.
In der Zwischenzeit brannte Brett 1 lichterloh, beide kurz rochiert, g-Linie halbgeöffnet, Schwerfiguren platziert. Die Aktivität und minimal höhere Königssicherheit schien bei JOFN zu liegen, und wenn mir schon etwas scheint, dann ist das natürlich auch faktisch durchdacht und somit ist es nur folgerichtig, dass an Brett 1 zum 1:2 eingenetzt werden konnte, so wie der Plan war. Nicht direkt geplant, aber nicht völlig unerwartet kamen wir dazu jetzt auch erstmalig in die Zeit ohne Zeit zum Nachdenken.
Rainer spielte gegen seinen um über 350 Punkte stärker bedwzten Gegner weiterhin bärenstark, konzentriert baute er seine solide Stellung aus und suchte seinen Figuren schöne Felder. Leider passierte dann aber das, was immer mal wieder passiert, wenn man eine der Partien seines Lebens herausholt – eine kleine Taktik ging noch. Die hatte er zwar gesehen, aber leider hatte er auch eine Gegentaktik gesehen, die dann nicht ging. Und so fiel ein Bauer um. Das alleine war zwar in dieser Stellung nicht schön, aber durchaus aushaltbar. Bedauernswerterweise ging aber damit eine Auflösung des starken Zentrums einher und Guntram sprungfederte aus einer Stellung, die eigentlich keine Sprungfederstellung war – Mehrbauer und aktiveres Spiel führten zu neuen taktischen Drohungen und dann war leider vorbei. 1:3 – schade, Rainers gutes Spiel hätte mehr verdient gehabt.
Und um traditionell die hinteren Bretter abzufrühstücken und sich auf die vorderen konzentrieren zu können, schauen wir jetzt auf Brett 6. Hier schien es zwischen weißer Mehraktivität und besserer schwarzer Struktur optisch etwas schwankend in der Einstellung bis Torsten dann für Aktivitätsdreh zwei Figuren für einen Turm gab – vor Ort nicht ganz unumstritten, aber die Engine war beim ersten Schnelldurchlauf die ganze Partie über vollentspannt. Allerdings waren beide Spieler heute denkwillig und das zeigte sich schon seit einiger Zeit auf der Uhr und so kam es, wie es kommen musste, schwarz tauschte unter Zeitdruck suboptimal und hätte mindestens noch einen Bauern verloren, was inzwischen wohl bereits zu viel gewesen wäre, dann kam aber noch eine Springergabel und der dabei abgehende Turm war definitiv zu viel, somit 2:3.
Nun zu Brett 2 – hier weiß ich aufgrund der oben beschriebenen Zeitprobleme am 6. Brett leider nicht genau, was da passiert ist, aber die mehr als passable Stellung Esmats war auf einmal weniger als passabel. Somit das 2:4. Und auch an Brett 4 war während meiner Abwesenheit einiges passiert, aus einem materiell ausgeglichenen Endspiel mit viel Druck für Matthias, der ja auch in Gewinnzwang war, wurde ein Damenendspiel mit Wenigerbauern, aber immer noch aktiverer Stellung. Mehr als ein halber war aber nicht mehr drin, weniger auch nicht, damit 2,5:4,5 und die zweite Niederlage war besiegelt, der Saisonstart kann als missglückt bezeichnet werden.
Um aber mit einem Highlight zu schließen, kommen wir nun zu Adesh. Der spielte die ganze Zeit vorwärts, und auch wenn es einen Bauern kostete, Carstens Interpretation von „König durch Bauernkette sichern“ mit Kf4, Be3, e4, e5, g3, g5 schien doch auch Schwächen zu haben. Und so holte sich Adesh eine Figur und dann war natürlich mit T5B gegen TS4B nichts mehr für weiß zu holen. Eine stets interessante Partie mit ansprechender Optik und einem aus unserer Sicht noch ansprechenderen Ergebnis. Somit 3,5:4,5.
Hier und heute gegen St. Pauli III durfte man verlieren, aber man hätte es nicht müssen. Speziell Esmat und Rainer hätten mehr erreichen können, eventuell auch Matthias, das wird die Analyse zeigen müssen. Martin hätte mit dem Hebel c5 vielleicht auch … Marten hingegen hatte umgekehrt Zeitnotglück, das war keine zwingend gewonnene Stellung. Aber wäre, wäre, Luftpumpe: Natürlich müssen wir nach Corona erst einmal wieder die eingerosteten Hirnhebel aktiv bekommen, aber das gilt auch für die Gegner. Und entscheidend ist aufm Platz. Und das Schachbrett ist eckig und das Spiel dauert 10-100 Züge. Irgendwo müssen wir aber dann doch die Punkte holen, sonst ist nach 11 Jahren wieder Wochentagsschach angesagt. Und auch im Dubrovnik war keine Aufbruchsstimmung, wir saßen da länger, aber nur Jens Ove schaffte es, seinen Grillteller zu leeren, selbst Marten scheiterte.
Aber für die nächste Runde haben wir uns bereits ein – wahrscheinlich ambitioniertes und unrealistisches – Ziel gesetzt: einmal am Donnerstag wissen, wer am Sonntag spielt, sodass nicht wieder Matthias in Nottelefonieaktionen Detlef die ganze zweite Mannschaft auseinanderreißen muss. Aber wer keine Ziele hat, wird auch keine erreichen.