Dia II-SV Eidelstedt – die vielleicht längste Praline der Welt
Als wir den Aufstieg in die Stadtliga annahmen, wussten wir, dass wir nach Zahl die klar schlechteste Mannschaft stellen würden. Um so entsetzter dann die Erkenntnis: nein, der SV Eidelstedt hat tatsächlich einen geringeren Schnitt als wir. Zum Glück haben sie rechtzeitig ein Brett 1a nachgemeldet, es ist also alles wieder im Lot.
Und heute sollte es also stattfinden, das Pinökelduell der Liga. Hier könnte man wichtige Punkte sammeln, um dem Abstiegsstrudel zu entgehen. Leider allerdings sind beide Mannschaften so tief unter Wasser, dass die Chancen darauf gering sind, auch bei uns, die wir etwas besser als die Ex-ETSVler gestartet sind. Man kann natürlich dem Zeitgeist folgend sagen „Mir doch egal, wie schlecht es mir geht, Hauptsache ist doch, dass ich eine andere Gruppe finde, der es schlechter geht und auf der ich herumhacken kann.“ Derartige Flachpfeifen waren heute allerdings nicht im Raum – dennoch, Schach ist ein Spiel, ein Spiel will man gewinnen, also waren alle 16 hoch motiviert.
Wobei zunächst die Auswahl der 16 zu treffen war. Eidelstedt hatte es etwas einfacher, zwar fehlte das nominelle Brett 1 und auch Brett 8 war nicht da, aber mit nach Nachmeldung 10 Spielern passte das genau. Haschem musste etwas tiefer in die Trickkiste greifen: Etienne war natürlich landesligagesperrt, Daniel zwar nicht, befand sich aber ungenehmigt im Urlaub. Und Rainer L hat bestimmt wieder irgendwo Landesliga gespielt, aus Risikominimierungsgründen kann man den nicht einsetzen. Was aber ein erfolgreicher Schachverein ist, dem mangelt es nicht an Rainers, also ergänzten Rainer V und Rainer J den Stamm – in der Hoffnung, dass sie eben nicht Landesliga gespielt haben. Dann fiel allerdings Andrei noch kurzfristig aus, aber wir haben ja Mr 50% Detlef. Somit spielte sich folgendes ab:
Viktor Isinger (1976)-Marten
Haschem-Volker Melde (1894)
Mirko Kurzynsky (1906)-Marcel
Tobias-Ferdinand Gaschin (1736)
Jan Stenzel (1854)-Dave
Rainer V-Mario Kruse (1726)
Hans Kummerfeld (1689)-Detlef
Rainer J-René Thielscher (1658)
In der Summe waren wir also wieder niedriger eingeschätzt, diesmal allerdings nur um knapp über 70 Punkte. Da wir ja gegen 100 Punkte besser klar gewinnen können, nahmen wir einfach mal die Favoritenrolle an und spielten munter los.
Einige dabei munterer als Andere. Ich hatte gerade einmal den Namen meines Gegners aufgeschrieben, da hatte Rainer bereits den 10. Zug seiner Eröffnungsvariante gespielt. Ärgerlicherweise hatte er nicht alle der ersten 9 gespielt – ein Dreher führte jedoch nicht zur Zugumstellung, sondern zu einem Wenigerbauern bei gleichzeitig völlig vermurkster Stellung (keine Entwicklung möglich). Womit er immerhin besser Stand als Marcel, der ebenfalls um den 8. Zug herum in einer ihm unbekannten Pirc-Nebenvariante feststellen musste, dass das alles nicht so geht, wie er sich das vorgestellt hat, also ein Notopfer eines Springers zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt, dafür aber ohne Kompensation. Die anderen zwölf spielten hingegen erst einmal unaufgeregte erste 10 Züge – an einigen Brettern sollte sich dies ändern, an anderen nicht.
Was sich hingegen nicht ändern sollte war, dass Rainer J nicht in die Hufe kam, und so war bereits nach knapp einer Stunde Rainer doppelt ärgerlich. Zum Einen, dass er einen Turm für nichts würde geben müssen, zum Anderen, dass er ein schönes mögliches Mattbild seines Gegners verhindert hatte, was ein netteres Partieende gewesen wäre als die schnöde Aufgabe um 19:55h.
Die anderen spielten weiterhin ihre Partien herunter, was heißen soll, dass Marcel eine Figur weniger hatte (dafür aber keine Kompensation) und alle anderen ausgeglichene Partien spielten. Besonders so an Brett 1, wo Viktors Damenflügelattacke und Martens Königsflügelsturm beide abgewehrt wurden und eine leichte Verschachtelung der Figuren bedeutete. Nach dem Generalabtausch der schweren Figuren wurde es dann manövrierig. Man kann den beiden allerdings viel vorwerfen – mangelnder Kampfgeist gehört nicht dazu, schließlich wird man Weltmeister, wenn man aus Stein Blut pressen kann. Nach etwa der Hälfte der 50-Züge-Regel mussten sie aber einsehen, dass dieser Stein wirklich sehr trocken war.
Auch Rainer V und Detlef hatten inzwischen remisiert, von diesen Partien habe ich leider keine Besonderheiten mitbekommen, vermute aber als Grund, dass es schlicht keine gab. Man neutralisierte sich, nahm ein paar Klötze vom Feld, und dann war halt nichts mehr los. Detlef hatte zwischenzeitlich immerhin ein paar Motive auf der halboffenen h-Linie, vielleicht sollte man da noch einmal reinschauen, aber nachdem Weiß wegrochiert war, verblieb wenig. Somit stand es 1½:2½, Marcel stand auf dem Acker, die anderen drei ordentlich aber eben nicht gewonnen – Dave baute langsam einen Angriff auf, nachdem er den weißen Fianchettoläufer aus der Rochade tauschen konnte, aber Weiß wehrte sich wacker; Tobias hatte Raum- und auch jede Menge Zeitvorteil, aber nichts Zwingendes und langsam verschwanden auch hier die aktiveren der Figuren vom Brett, während Haschem einen Bauern gewinnen konnte, allerdings hatte sein Gegner dafür schwere Geschütze nahe dem weißen König aufgefahren. Das musste nicht böse enden, konnte es aber – und eine Wiederholung des 5½ aus der ersten Runde wurde inzwischen doch eher unwahrscheinlich.
Nun wurde Marcel etwas trotzig. Er geriet im Endspiel mit weiterhin einer Wenigerfigur in Zugzwang und spielte das alte Spiel „ich setz meine Figuren jetzt einfach auf Felder, wo Du sie schlagen kannst, bevor ich aufgebe“. Sg5 – Lxg5, b3 – cxb3. Und auf einmal gab es einen unauflösbaren Widerspruch zwischen Zugrecht und Zugpflicht.
Klassisch gefoppt. Den sehr unerwarteten halben Punkt nahmen wir an dieser Stelle natürlich gerne mit. Die etwas unsensible Kommentierung des Vorgangs hingegen tut uns leid – es war wohl Marcels Überschwang geschuldet, dem Schaffott entronnen zu sein, aber insbesondere der Berichterstatter hat noch vor weniger als einer Woche selber mitbekommen, was es heißt, im Mannschaftskampf eine gewonnene Stellung unbedarft wegzuwerfen, und auch wieviel Humor man in den 5 Minuten danach hat, nämlich eher gar keinen. Das hätte nicht sein müssen – sorry, liebe Eidelstedter, insbesondere sorry Mirko!
Der Kampf an den anderen drei Brettern änderte sich natürlich dadurch. Bei nunmehr nur noch einem aufzuholenden Punkt, statt deren zumindest virtuell zweien. Wenn also einer der drei gewinnen sollte, gäbe es ein 4:4, wenn es zwei schaffen, wäre sogar ein Sieg noch im Rahmen des Möglichen. Und Dave hatte schönen Angriff und Haschem strahlte auch Siegeswillen aus (und den gewohnten Optimismus sowieso). Tobias hingegen bekam ein Remisgebot und wartete erst einmal ab, er hatte schließlich die klar bessere Zeit. Letztlich war das, neben den eben nicht offensichtlich gewonnenen Stellungen Daves und Haschems, auch der Grund für sein Weiterspielen. Und es war richtig, denn Haschem stand nun unter schwerem Beschuss, und ein Versuch, dem zu entkommen, könnte nach hinten losgehen, würde zumindest schnell den Mehrbauern kosten. Aber eventuell auch nicht. Also einigte man sich auf Dauerschach.
Dave hingegen hatte eine dieser verfluchten Angriffsstellungen, in denen man zu viele Motive gleichzeitig hat, die alle um ein Haar nicht gehen – auf welches Motiv soll man jetzt verstärken? All zu viel Zeit blieb nicht, denn sein Gegner hatte am Damenflügel lauffähige Bauern.
Und tatsächlich verteidigte sich Weiß lange Zeit sehr stark und ressourcenreich, wenngleich ein starker Konter übersehen wurde, doch irgendwann gab es ein Damengewinnmotiv, und wenn einer weiß, wie man Damen vom Brett bekommt, dann ist das zwar der heute nicht mitspielende Rainer, aber wenn einer weiß, wie man nur eine Dame zur Zeit vom Brett bekommt, dann ist es eben Dave. Also sah er die Taktik und hatte Dame gegen Turm. Aber es sollte sich leider herausstellen, dass die weißen Damenflügelbauern die Zeit zu gut genutzt hatten – außer sich ins Dauerschach zu retten, hatte Dave auf einmal keine Wahl, somit wurde auch diese Partie remis – es gab wohl auch in der Tat keinen Gewinnweg für Schwarz – und es stand 3:4.
Gut schon einmal, dass Tobias das Remis nicht angenommen hatte. Weniger gut hingegen, dass sich ein Großteil des Zeitvorteils verflüchtigt hatte und auch die Stellung nicht besonders verbessert aussah. Bis auf einmal auf mir unbekanntem Wege ein gegnerischer Bauer umfiel und im Turmendspiel auf Gewinn gegangen werden konnte. Insbesondere der Bärenturm (W: Te5, Bg5 S: Kg7 Bg6), der den schwarzen König komplett aus dem Spiel hielt, hieß natürlich, dass man seinen König und Freibauern erst einmal beliebig aufstellen kann, bevor man eventuell den Turm wieder hinzuholt. Somit sind doch hoffentlich nicht alle Turmendspiele remis. Ferdinand verteidigte sich zwar wacker – beide mussten jetzt schon längst nicht mehr mitschreiben, Haschem protokollierte für sie – aber Tobias verstärkte und fand den richtigen Moment, seinen Turm umzugruppieren.
Bauer zog durch, Gegnerturm opferte sich, anderer Bauer wurde abgeholt, eigener Bauer zog durch, warum gab Ferdinand nicht auf? Ach so, ja, die Zeit war etwas knapp. Etwas sehr knapp. Etwas außerordentlich sehr knapp. Und das führte auch zu sichtlicher Nervosität bei beiden Spielern, nicht nur Tobias bezeichnete bei nochmaliger Ansicht der letzten Züge das alles als haarsträubend, auch die Umstehenden und -sitzenden konnten das körperlich fühlen (ausgenommen aus offensichtlichen Gründen der Berichterstatter). Einzügige Matts gab es zwischendurch, zudem zweizügige, aber letztlich, mit 3 Sekunden auf der Uhr bei Tobias und 7 Sekunden bei Ferdinand, war es dann im 117. Zug (+/-80) doch geglückt.
Somit kam ein für die Heimmannschaft mehr als nur glückliches 4:4 zustande. Das hätte heute am Ende sehr gut anders stehen können. Ein Sieg hätte zwar die theoretische Chance bedeutet, noch einmal nachrechnen zu dürfen, ob nicht doch ein Landesligaabsteiger weniger hier oder da oder wie auch immer, aber verdient wäre er nie gewesen.
Dennoch sind wir mit 3:1 Punkten gegen zwei deutlich bessere Gegnerteams natürlich vollauf zufrieden. Das Saisonziel von 10 Brettpunkten ist zwar immer noch nicht erreicht, aber den fehlenden halben werden wir schon noch irgendwo holen. Und dann haben wir gezeigt, dass wir vielleicht nicht stark genug sind, um in der Stadtliga zu verbleiben, aber auf jeden Fall stark genug, um mitspielen zu dürfen. Und auf der Habenseite verbleibt neben dem Punkt auch die Möglichkeit, am längsten Mannschaftskampf mit klassischer Bedenkzeit teilgenommen zu haben, zumindest vereinsintern. Ganze 10 Sekunden waren am Ende auf der Uhr, das ist gar nicht mal so viel – und somit verbleibt als einziger Wermutstropfen eine gewisse Restmüdigkeit auf der Arbeit am Freitag.