Die vier Jahreszeiten
Nachdem Dia 1 ja bereits am Sonnabend alles klar machen konnte, was an theoretischen Überlegungen zum Nichtklassenerhalt möglich war (und ein wichtiger Sieg es war, alle Konkurrenten, außer natürlich dem eigenen Gegner, gewannen), war der Sonntag ein reines Schaulaufen. Wobei theoretisch Platz 3 wunkte – punktgleich lagen St. Pauli III, Dia I und HSK IV auf den Plätzen 3 bis 5, nur jeweils ein halber Brettpunkt trennte die Tabellennachbarn.
Wenn man also noch ein Saisonziel haben wollte, dann dieses: gewinnen (gegen St. Pauli II), und Schachfreunde (gegen St. Pauli III) sowie Weiße Dame (gegen HSK IV) die Daumen drücken. Für uns richten sollten das die Herren Fries Nielsen, Zacharias, Kuberczyk, Wasmuth, Becker und Tobianski, sowie die Damen Guindy und Stolberg-Rohr. Matthias gab trotz der „angespannten“ Situation Feuer frei für alle – macht doch, was Ihr wollt. Und um eines vorwegzunehmen: Weiße Dame, die bei einer Niederlage selber noch absteigen konnten, wenn wir nicht gewünnen, nun, da schien Daumen drücken wenig zu helfen – als ich nach etwa einer Stunde das Spiellokal betrat, lagen sie bereits mit 0:2 hinten (allerdings nicht kampflos – überhaupt nur eine kampflose Partie am Abschlusswochenende, ein Negativ- bzw. Positivrekord).
Bei uns war zu dieser Zeit vieles unklar. Zumindest mir. Speziell bei Christian sollte ich auch im weiteren Partieverlauf immer mal wieder das Gefühl bekommen, dass er richtig richtig gut stehen könnte, oder auch richtig richtig weniger als gut. Auf einmal schoss dann aber Fabian das 1:0. Wieso? Angeblich hatte er eine Figur mehr, was nur aufzeigt, dass der Berichterstatter nicht zählen kann, er hatte dieses zuvor nicht bemerkt. Niels Jørgen stand gewohnt, alle Figuren auf den ersten drei Reihen, scheinbar nichts passierte, aber irgendetwas war wohl in der Stellung, sein Gegner ließ viel Zeit liegen. Christian… siehe oben. Christoph hatte eine sehr gut aussehende Stellung: Druck gegen den unrochierten König, Druck auf der h-Linie. Ob da was war, weiß man nicht, aber angenehm sah es aus. Wie auch bei Matthias. Esmat hingegen hatte einen Bauern zu verteidigen um nicht schlechter zu stehen (hier ist etwas mein Problem, dass in einem ganz anderen Kampf zwischen zwei ganz anderen Spielern heute eine sehr ähnliche Struktur stand, und ich die Stellungsbilder immer verwechselte), Thomine stand normal, Martin auch, wirkte aber unternehmungslustig und motiviert, da war man gespannt.
Einige Minuten weiter: Christoph hatte inzwischen einen Bauern, noch einen Bauern gewonnen und dann auch die Partie. Thomine bot Remis, und der Gegner nahm an, obwohl St. Pauli den Kampf würde gewinnen müssen. Nun, 2½:½, wir scheinen das unsrige zu tun, let’s look at the other matchups. Weiße Dame lag inzwischen ½:2½ hinten, HSK mit uns im Gleichschritt (aber eben einen halben Brettpunkt hintan), St. Pauli III gleichschritt anders herum, lag ½:2½ hinten, war aus dem Bronzerennen vermutlich ausgeschieden.
Bei uns schien es aber langsam bergab zu gehen: Matthias‘ Stellung wurde wuselig, Christian siehe oben, Niels Jørgen geriet gewaltig unter Druck, Esmat verlor ihren Bauern, lediglich Martin konnte ein Endspiel mit L gegen S und minimal besserer Bauernstruktur erreichen und eher nach oben denn unten spielen. In der Zwischenzeit brach Weiße Dame auseinander (½:5½), St. Pauli II war aber aus dem Rennen (½:4½). Also würden wir wohl 4. bleiben – den vor uns überholen, von hinten überholt werden. Aber noch war nicht aller Tage abend.
Und wie ernst die Lage war, konnte man daran erkennen, dass Matthias ein Endspiel (nur Bauern abdfgh gegen abdfgh, keine Durchbrüche, kein nichts) motiviert knetete – aber dann einsehen musste, dass das wohl remis war. 3:1 für uns. Fast forward, im gesamten Spielsaal laufen nur noch 4 der ursprünglich 40 Partien, alle bei Dia – wie eigentlich immer. Weiße Dame konnte in Form von Aleksandar Trisic noch einmal zurückschlagen, 6:2 für HSK IV. Würden wir auch 6 schaffen, wären wir 3., bei 5 wäre es der HSK, bei 5½ müsste irgendwer Berliner Wertung berechnen.
Aber wie stand es? NJ stand nicht gut irgendwie, wirkte aber äußerlich entspannt. Das tat auch Martin, der stand aber ganz anständig irgendwie. Christian stand auch irgendwie und Esmat musste irgendwie TT und 3 gegen TT und 4 verteidigen. Leider war als erstes Martins Partie remis – einen Bauern konnte er zwar gewinnen, aber alles andere war blockiert. Okayes Ergebnis, 3½:1½. Christian hingegen gewann langsam Oberwasser, bekam einen laufenden g-Bauern, der ihm einen gegnerischen Läufer einbrachte, musste seinen Läufer gegen den gegnerischen d-Bauern geben, hatte am Ende aber einfach einen zu schnellen Bauern übrig, bevor der weiße a-Bauer ins Rollen käme, müsste doch sein f-Bauer schon lange geschlechtsumgewandelt sein. Wo aber jeder von uns den Rest runterzublitzen versucht wäre, blieb Christian cool, rechnete noch mal in Ruhe alles durch, und schon hatte er gewronnen (das ist ein lustiges Wortspiel, sein Gegner war nämlich Bernd Wronn). 4½:1½ und damit auf jeden Fall schon einmal 10:8 Mannschaftspunkte – gar nicht so schlecht.
NJ hatte inzwischen das ärgste abgewendet und eventuell eine Zwangsremisvariante mit „lass ihn alles abholzen, er hat dann L und falschen Randbauern“ auf dem Brett, spielte aber konservativ und dennoch remis. Und Esmat tauschte und tauscht, schließlich war es T gegen T und g-Bauer, aber das ließ sich prima verteidigen, und somit 5½:2½. Punkt- und torgleich mit dem HSK, Berliner wird entscheiden. Aber da sind wir ohne genau nachzurechnen ganz optimistisch, dass wir vorne liegen könnten, haben wir doch die Punkte eher oben geholt (man erinnere ein 11110000-4:4). Somit kommen dann auch die vier Jahreszeiten ins Spiel: es war Frühling, das Wetter war aber winterlich (inklusive Hagel und Schnee…), die Bronzemedaille erinnerte farblich an Herbstlaub, und wir fühlten uns sommerlich.
Beim Abschlussessen (Tisch war für halb vier bestellt, um fünf waren wir da…), bei dem außer mir noch Etienne dazu stieß (genauer stieß er zuschauend schon vorher dazu, ebenso wie Andrei, der aber nichts isst), wurden dann schon die Weichen für die nächste Saison gestellt und schonungslos Manöverkritik geübt. Wie zum Beispiel kann es angehen, dass Christoph trotz einer Partie mehr auch nicht mehr Punkte als Christian erzielen konnte (6½/9 gegen 6½/8)? Wie kann es angehen, dass Marten (0/1) trotzdem was zu essen bekommt? Wie kommt Martin vom Ecksitz zur Toilette ohne dass alle aufstehen müssen? Aber in der Summe sehen wir gut genährt der Zukunft entgegen.