Endspielzauber war nicht genug (eine Nachbetrachtung von Christoph)
Ende der Winterpause! Während einige Fußballclubs aus Respekt vor der Kälte noch immer ihre Zeit in südlicheren Gefilden des Planeten verbrachten, machten wir uns als hartgesottene Schachspieler am Sonntag gen Norden auf, um in beheizten Räumen unserem Hobby zu frönen. Unser Gegner war die zweite Mannschaft der Königsspringer, denen an diesem Tag die erste Niederlage zugefügt werden sollte. Den Versuch starteten:
An 1: Christian
An 2: Ich (Christoph)
An 3: Matthias
An 4: Gregor
An 5: Martin
An 6: Andrei
An 7: Haschem
An 8: Marten
In der Tierwelt ist es unüblich, den Winterschlaf zu beenden, solange draußen noch Minusgrade herrschen und der Start des Mannschaftskampfes ließ darauf schließen, dass wir Menschen in diesem Punkt gar nicht so anders sind. Zumindest waren bei unseren Gegnern wohl nicht alle rechtzeitig aus dem Bett gekommen, sodass beim Anpfiff durch Schiri Gunnar Klingenhof gerade einmal die Hälfte der Mannschaft anwesend war.
Letzten Endes hatte aber jeder Diagonaler einen Gegner vor der Brust. Im Nebenraum fand zudem eine Spitzenbegegnung der Oberliga statt, in der die erste Mannschaft von Königsspringer die Paulianer empfingen, die von Fide-Meistern über Internationale Meister bis zu Großmeister(innen) alles an den Start brachte, was einen „Meister“ im Titel vor dem Namen hat.
Marten ließ sich am Anfang wohl von dieser meisterlichen Stimmung anstecken und tat etwas, das zuletzt die großen Schachmeister im 19. Jahrhundert getan hatten: Er gab seinem Gegner in der Eröffnung eine Figur Vorsprung. Kurz danach bereute er zwar seine Entscheidung, doch da war es schon zu spät. 0-1
Als zweiter wurde ich fertig.
Jochen spielte hier 13.Sf5? und übersah dabei, dass 13…d5! den Springer entwurzelt und allerlei Dinge droht. „Danach kann Weiß quasi aufgeben“ war seine Anmerkung nach der Partie und zumindest nach 14.De2?! Txc3! 15.bxc3 Sxe4 war ihm nicht nur sein Zentrum abhanden gekommen,sondern die Doppeldrohung Lxf5 und Sxc3 kostet Weiß auch noch Material. Wenig später stand es 1-1.
Haschem hatte in seiner Vorbereitung mit allerlei Eröffnungen gerechnet, allerdings nicht damit, dass sein Gegner Französisch spielen würde. Nach etwas Nachdenken entschied sich Haschem dazu, eine symmetrische Struktur anzustreben – um daraus eine wilde Angriffspartie zu machen!
Der schwarze Königsflügel ist schon ordentlich gelockert worden und fast alle schwarzen Figuren sind auf der Grundlinie zusammengepfercht. Nach kurzem Draufschauen auf die Stellung hatte ich hier von Haschem erwartet, dass er irgendwas auf g5 reinknallt und die Partie im Angriff gewinnt. Das scheint bei Licht betrachtet leider so gar nicht zu funktionieren. Vielleicht ist 20.Dh5+ nebst g3, Kg2 und Th1 ein praktischer Versuch, aber dass Stockfish hier Züge wie 20.b2-b4 vorschlägt, könnte auch ein Indiz sein, dass ein weißer Angriff auf den schwarzen König allein ohnehin nicht zielführend ist. Haschem probierte 20.Txe8 Dxe8 21.Dh3+ Kg7 22.g4?! mit Ideen wie Kg2 und Th1 oder auch Sc3-e2-g3-f5, doch nach 22…Dg6 nebst Dh6 konnte sich Schwarz konsolidieren und stand aufgrund der weißen Felderschwächen sogar besser. In schwieriger Stellung übersah Haschem dann einen Figurenverlust und konnte die Stellung nicht mehr halten. 1-2
„Mr. 100%“ Gregor musste sich leider kurz darauf seine Siegesserie zerreißen lassen. Sein Gegner Alexander Spät machte seinem Namen alle Ehre und kam erst mit ca. 45 minütiger Verspätung am Spielort an. Wer weiß, vielleicht hatte er noch einen geruhsamen Spaziergang unternommen oder meditiert, um seine Energie zu bündeln. Verschlafen wirkte seine Spielweise am Brett auf jeden Fall nicht. Nach einigen taktischen Schlagabtäuschen hatte Gregor zwar kurzzeitig eine Qualität mehr, musste dafür aber in Kauf nehmen, dass sein Läufer auf a4 von einem weißen Bauern auf b5 ausgesperrt wurde. In der Folge wurde dieser Läufer dann leider nach c2 gezwungen, dort gefesselt und abgeholt. 1-3
Langsam wurde es eng für uns. Der Rückstand von 1-3 an sich war nur das halbe Problem, schließlich haben wir schon andere Spiele gedreht und wenn es eine Mannschaft gibt, der regelmäßig Wunder gelingt, dann sind das wohl wir. Aber an den übrigen 4 Brettern fehlten zum einen die dringend benötigten Gewinnstellungen und zum anderen waren auch Andrei und Martin in leichten bis mittelgroßen Schwierigkeiten.
Schwarz am Zug zeigte hier keine großen Trennungsängste von ihrem Drachen-Läufer und spielte beherzt 14…Lxc3!. So wichtig dieser Läufer im Drachen auch häufig sein mag, lohnt es sich doch, diesen Abtausch im Auge zu behalten. Natürlich könnte Schwarz auch etwas wie 14…d6 spielen, doch Karin hatte richtig bemerkt, dass die strukturellen Schwächen am Damenflügel schwerer wiegen als Aufgabe des g7-Läufers. Martin versuchte in der Folge zielstrebig zu einem Angriff gegen den schwarzen König zu kommen, doch der schwarze Druck auf der c-Linie zwang die weißen Figuren irgendwann dann doch, relativ passive Positionen einzunehmen.
25.Sg3 scheint die Partie noch sehr chancenreich zu halten. Martin hatte vermutlich übersehen, dass nach 25.Lxe4? Dxe4 26.Tg3 Dxe5 der Turm nicht auf g5 nehmen kann. Sowohl Mehrbauer als auch Struktur und Figurenaktivität sprechen für Schwarz. Martin schaffte es noch bis ins tiefe Damenendspiel zu kämpfen und immer wieder Fallen zu stellen, die bei einem unachtsamen Gegner vielleicht geklappt hätten, doch am Ende musste er seiner Gegnerin doch zu einer guten Partie gratulieren. 1-4
In dieser Stellung war leider nicht Andrei am Zug Andrei hatte die Eröffnung positionell stark gespielt und hatte locker Ausgleich erreicht, wollte dann den Weißen aber zu hart bestrafen. Der Angriff wurde abgewehrt und seine Figuren zurückgeworfen. Andrei musste dann ein bisschen auf Tricks spielen und kam irgendwie in diese (komplett verlorene) Stellung. Weiß kann hier aus einer Fülle an taktischen Möglichkeiten wählen, um seine Mehrfigur zu retten. 28.Dd3+ Tb5 29.0-0 wäre ziemlich sweet, weil Weiß wegen Ta1+ nicht auf b4 nehmen kann. Aber sogar 28.Tc4 geht,wenn Weiß nichts besseres einfällt.
Die Partie hatte sich hier aber schon hier zu einer perversen Zeitnotschlacht entwickelt und Eugen zog 28.Dc4+??, was nach 28…Ka7 den ganzen Turm auf b4 kostete. Mit dem wackeligen König auf a6 hatte Weiß aber gerade in Zeitnot noch alle Chancen. Nach 29.0-0 Txb4! 30.Dxf7 Dxc5+ 31.Kh1
Das sehr coole 31…Kb8 empfiehlt das Siliziumgehirn. Andrei spielte das menschliche 31…Tb7?, das aber nach 32.Ta1+ Kb6 (Kb8 33. Df4 Tc7+ 34.Tb1+) 33. Tb1+ Ka7 34. Da2+! Kb8 nebst Txb7+, Db2+ und Dxh8 die Qualität zurück verlor und Andrei in einem schwierigen Endspiel mit Minusbauer übrig ließ, auch wenn das Vorhandensein der Damen und der „potenziellen Dame“ auf c6 noch immer Hoffnung bot.
Was passierte an den übrigen Brettern? Es war klar, dass bei Matthias und Christian irgendwie zwei Siege hermussten.
Wie es die Weltspitze in der Carlsen-Ära eben so macht, führte Matthias keine lange Theorieschlacht, sondern wählte ein Damenbauernspiel, um eine langweilige spielbare Stellung zu erreichen. So wirklich viel passierte hier die ganze Partie nicht, doch Matthias war natürlich auch klar, dass wir seinen vollen Punkt brauchen. Daher…
43.a4!! Ich stand neben dem Brett, als Matthias diesen Hebel auspackte und bedauerte ihn fast ein wenig, dass die Mannschaftssituation ihn zwang diesen Zug zu spielen. Den schwarzen Turm nach c4 einzuladen kann doch keine gute Idee sein?
43…bxa4 44.bxa4 Tc4 45.Tb7!
Matthias hat genau gerechnet. Falls …Lxd4 46.cxd4 Txd4+ 47.Kf5 Txd2 48.Txe7+ und der weiße König dringt unangenehm über g6 ein.
45…Lf6 46.Td7 Txa4 47.Txd5 Ta2 48.Le3 Tc2 49.Txa5 Txc3 50.Lf2 Tc2 51.Tf5 Kg7
Viel Gewinnpotenzial ist nicht mehr auf dem Brett, doch Matthias hat auf jeden Fall Fortschritte gemacht und hat verschiedene Ideen, wie Bauerndurchbrüche mit d4-d5-d6, Qualitätsopfern auf f6 oder (nach ein bisschen umgruppieren) Lxe7 nebst Tf7+.
52.d5 Tc4+ 53.Kg3 Tc3+ 54.Kg2 Tc2 55.Kf1 Tc1+ 56.Ke2 Tc2+ 57.Kd1 Tc8 58.Lb6 g4 59.Ke2 Tc2+ 60.Kf1 Tb2 61.Lc5 Kg8?
Weiß drohte Lxe7, aber Txf6 nebst d5-d6-d7 gewinnt nun sofort. Matthias hätte auch noch zwei Züge länger Txf6 gehabt, aber er gewann die Partie lieber mit
62.Le3 Th2 63.Lxh6
wonach er den Mehrbauern „sicher“ verwertete. 2-4
Wie schlug sich Christian in der Zwischenzeit?
Christian hatte aus der Eröffnung heraus einen kleinen Vorteil. Im Mittelspiel eroberte er das Läuferpaar und verpasste seinem Gegner einen schwachen Bauern auf e6. Die schwarze Stellung blieb aber schwer zu knacken und Steffen verteidigte sich zäh. In der Diagrammstellung (Schwarz am Zug) hatte Christian noch immer etwas Vorteil weil der h-Bauer nicht bequem geschützt werden kann. Allerdings ist Schwarz dem Remis natürlich trotzdem nicht allzu fern,vor allem, da die Abwicklung 39…b4 40.cxb4 cxb4 41.a3 bxa3 42.bxa3 a5 43.a4 Ke6 noch zwei Bauernpaare mehr vom Brett tauscht.
Auch in dieser Partie spielte die Zeitknappheit eine wichtige Rolle. Christian zeigte direkt nach der Partie, wie Schwarz die Partie hier auch ohne seinen h-Bauern leicht remis halten kann. Steffens Gedanken kreisten aber wahrscheinlich hauptsächlich darum, wie man es schafft, den h-Bauern auf dem Brett zu halten…
44.Le4 Ke5 45.Lc6 Ke6 46.Le8 Ke7 47.Lxh5 Sg2+ 48.Kg3 Se3 49.Lg6 Sd5 50.Lc2 Sc7 51.Kg4
51…Se6?
51…Kf7 nebst Kg7 war die sichere Aufstellung, die Christian für das einfachste Remis hielt. Der schwarze Springer greift in der Folge den a4 an und sobald der weiße König rüberläuft (mindestens die d-Linie betritt) funktioniert die Vereinfachungskombi Sxa4 Lxa4 Kg6 und Kxg5.
Nach dem Textzug kann Weiß weiter Fortschritte machen und dringt mit dem König auf wichtige Felder vor.
52.Kh5 Sd4 53.Ld3 Kf7 54.Kh6 Kf8 55.Kg6 Se6 56.Kf6 Sf4 57.Le4 Sh5+ 58.Ke5 Ke7 59.Kd5 Sf4+ 60.Kc4 Se6 61.g6 Sc7 62.Kc5 Kf6 63.Kb6 Se6 64.Kxa5 Sc5 65.Lc2 Kg7 66.Kb5 Se6 67.Le4 Kf6 68.Kb6 und Schwarz gab auf. 3-4
Leider erwies sich dies am Ende nur als Ergebniskosmetik. Andreis Gegner schaffte es im Endspiel noch einen weiteren Bauern zu gewinnen. Nachdem sich danach auch der Damentausch nicht vermeiden ließ, musste Andrei aufgeben. Trotzdem ganz stark, wie Matthias und Christian es schafften, in der Not noch „Wasser aus Steinen zu pressen“ und mit viel Kampfgeist ihre Endspiele gewannen!
Am Ende stand also eine 3:5-Niederlage, die uns jetzt mit 5:5 Mannschaftspunkten und 20:20 Brettpunkten zur „durchschnittlichsten Mannschaft der Liga“ macht. Im nächsten Spiel am 31.1. geht es gegen den Ligaprimus Schachfreunde „die Erste“, denen bisher weder ein Unentschieden noch eine Niederlage gelungen ist. Gespielt wird in der Alten Forst ab 11 Uhr. Wer uns unterstützen will, kann gerne vorbeikommen. Wir werden wieder kämpfen bis zum Ende!
[Christoph]