Glühwein und Spekulatius

So sollte man einen schönen familiären Advent begehen – früh aufstehen und nichts wie aus dem Haus, denn in Schnelsen warteten diverse Königsspringer und wollten einen auf die Glocke bekommen. Also die vorweihnachtliche Jingle Bell. Und um es gleich vorwegzunehmen, während die letzten beiden Jahre auswärts bei den Springern für mich persönlich eher traumatisch ausfielen (einmal mit frisch kaputtem Zahn, einmal verschlafen), sollten dieses Jahr alle Komödien und Tragödien nur auf den 64 Feldern stattfinden. Gut, ich habe es den Gastgebern auch schon gesagt, in der letzten Runde beim HSK war sowohl das Wetter besser als auch das gebotene Fußballrahmenprogramm niveauvoller, aber auch das ist außerhalb der Bretter, die die Welt bedeuten.

Und zwei Räume hinter dem noch von einer wohl früher am Wochenende stattgefunden habenden Feierlichkeit übriggebliebenen Glühweinerwärmgerät (gemäß unserem Vereinsmotto „In vino calido veritas“) trafen wir uns – zwischen uns und dem Exgetränk spielten parallel die dritten der Königsspringer gegen die Weiße Dame – um Schiedsrichter Daniel Grötzbach folgende Aufstellung zu diktieren: An 1 Niels Jørgen gegen Clemens Harder (DWZ 2106, Elo 2152), and 2 Christoph gegen Michael Wolter (2148/2172), an 3 Matthias gegen Jochen Cremer (2101/2159), an 4 Martin gegen Steffen Dettmann (2141/2199), an 5 Dave gegen Karin Chin (2044/2050), an 6 Andrei gegen Markus Langmann (1981/1957), an 7 Marten gegen Baldur Schroeter (1983/2041 – ich durfte hier netter Weise meine für das Vorjahr gedachte Partie nachholen) und an 8 auf seiner Comeback-Tour (so wünschen wir es uns) Daniel gegen Eugen Raider (2048/1993). Die Favoritenrolle war in diesem Duell des Tabellenführers von oben gegen den von unten also auch numerisch klar zugeteilt.

Los ging es also. Nicht schnell, aber los ging es. (Vorschau: nach zwei Stunden waren durchschnittlich 13 Züge gespielt.) Und obwohl wir bei der Gegneraufstellung zunächst die Strategie der Königsspringer wohl korrekt einschätzten aber im Detail patzten, sah es von Anbeginn an eigentlich angenehm aus. Diverse aus den Trainings bekannte Stellungen und Strukturen jodelten über die Bretter. Lediglich an Brett 8 trafen zwei Chaoten aufeinander (Eugen spielt ja auch mal andere Dinge als Berliner Mauer oder Najdorf), und obwohl sie der Meinung waren, alles sei im Wesentlichen normal, wirkte es für den uninitiierten Beobachter wie schnell aufs Brett gestellte Figuren um danach wegzuräumen. Mit unklarer Einschätzung. Andrei jammerte wie üblich, dass er seinen Stellungstyp nicht beherrsche, was aber dem initiierten Beobachter lediglich sagt, dass er noch spielt. Und wie: ein auf dem Damenflügel vorgetragener Aufmarsch sah sehr sportiv aus. Matthias spielte vorsichtig voran, aber die Stellung sah drohilig aus. Niels Jørgen gab einen Bauern für Initiative, das musste gut sein, Martin französelte sich eins, Dave sizilierte und brillierte, Christoph und ich führten auch in unregelmäßigen Abständen Züge aus, die die Stellungen nicht komplett wegstellten. Es sah gar nicht nach Erster gegen Letzter aus, und wenn, dann eher andersherum, auch unsere Zeiten (außer bei mir) übertrafen die der Schnelsener.

Bereits kurze Zeit später war es dann an Brett zwei vorbei. Christoph weigerte sich weiterhin, die Stellung wegzustellen, Michael allerdings auch, und so kamen die beiden Blitzer (19 Züge nach 2 Stunden, mit Abstand die meisten) zum Schluss, dass sie heute gleichgut sein sollten. Martin gab derweil einen h-Bauern aus der kurzen Rochade um seinerseits den weißen h-Bauern der kurzen Rochade schräge anzulächeln, NJ initiativte immer angenehmer und es schien nur eine Frage der Zeit bis der gegebene Bauer zurückkehren sollte, und so war es auch – ohne Stellungsrückgabe. Und Andrei marschte weiter auf. Gefühlt war die Stellung irgendwie plus 21, die weiße lange Rochade wirkte relativ geöffnet (könnte am Bauernmangel liegen) während die schwarzen Figuren auf a bis c herumturnten als würde es kein morgen geben. Dave hingegen fing an, die Kompensation für den zwischenzeitlich geopferten Bauern nicht zu sehen, das war weniger schön, aber im Sinne des Weltfriedens noch unkritisch.

Und wenn wir jetzt die Uhr mal eine Stunde auf halb drei vordrehen, stellen wir fest, dass immer noch alles mehr oder weniger ausgeglichen war. Dave hatte gerade aufgeben müssen, Karin kam in seine Stellung hinein, und auch wenn alles etwas wacklig wirkte, kippte da nichts um. Umkippen tat allerdings der schwarze König an Brett 1 – Clemens gab die inzwischen hoffnungslose Stellung gegen Niels Jørgen einfach mal auf. Und der Rest? Martins Initiative versandete und irgendwie kam auch noch richtig Material abhanden, das sah ungut aus. Daniel hatte zwei Bauern mehr, aber die Stellung war in alle Richtungen wild und dieserhalb und desterwegen hochgradig unklar, dürfte im Zweifel aber gut sein. Andrei gewann durch seine Initiative einen Bauern, fand aber den richtigen taktischen Aufreißer nicht (wenn es ihn denn gegeben haben sollte) und fing an, endspielerische Gedankengänge zu entwickeln. Matthias konnte durch Drohungen einen Bauern gewinnen und hatte definitiv solche Endspielgedanken. Aber dennoch war nicht ganz klar, wer Martins wohl verlorenen Punkt ausgleichen sollte, und so entschloss ich mich, statt eines komplettsymmetrischen Turmendspiels etwas rumzuprobieren, was zunächst etwas unangenehm wirkte, aber schnell ins drohliche überging. In der Summe also eine klar schlechtere und vier wohl im Zweifel bessere Stellungen beim Stand von 1½:1½.

Nun sollte der Moment kommen, an dem das parallel stattfindende Fußballpokalspiel Germania Schnelsen 2-Roland Wedel 2 abgepfiffen wurde (Endstand 4:0, den – insbesondere grammatisch – hochinteressanten Bericht dazu findet man unter http://www.radiohamburg.fussifreunde.de/teammanagerbericht.page?id=258791&tm=true – irgendwie will die Linkeinbindefunktion nicht so, wie ich will), worauf die Wedeler sich am Mittelkreis zu einer kleinen Zeremonie versammelten, statt des einfachen „Hipp-hipp“ – „Hurra“ gab es ein Ritual, ein wenig wie „57 Rosenkränze beten“, nur einen Hauch lauter – und mit dem kleinen Unterschied, dass auch der siebenundfünfzigste Rosenkranz irgendwann mal durch ist, was hier nicht absehbar war. Leider war es gerade kurz vor drei, und wer meine Anmerkungen zum Zeitverbrauch oben mitverfolgt hat, wird sich vorstellen können, dass das nicht wirklich der beste Zeitpunkt war.

Aber abgesehen davon, dass es etwas lautete, passierte an keinem der Bretter ein partierelevanter Unfall, sodass wir in der selben Grundsituation in die Bonuszeit gehen konnten. Und dort dauerte es zwar noch etwas, aber Martins Aufbäumen war letztlich nicht von Erfolg gekrönt, der Punkt war nicht nur wegzuerwarten, sondern jetzt wirklich weg. Aber alle anderen Bretter sahen schön aus. Nur nirgendwo schön genug, dass man jetzt von einem wahrscheinlichen ganzen reden konnte. Andrei hatte immer noch seinen Mehrbauern, kam aber nicht so recht voran. ähnlich Matthias, auch wenn es etwas voranner wirkte, Daniel musste auf die gegnerischen Freibauern aufpassen – er selber hatte, da ja einiges mehr, auch welche, aber die waren noch am Dehnen und nicht wirklich losgelaufen – und bei mir bahnte sich Bauernmacht gegen Turm an, wobei mein König näher am Geschehen stand als dem Baldur ihm seiner, sodass es nur noch durch Komplettaussetzer verlierbar war – aber wohl auch nur durch ebensolche gewinnbar. Aus all diesem ein ganzer Punkt und ein zumindest Achtungserfolg ist uns sicher.

Aber wie es im Leben so ist, steht man erst einmal unten drin, dann läuft es auch nicht. Mir fehlte ein Tempo – ob das irgendwo herausholbar war, weiß wohl nur eine Endspieldatenbank, die Schlussstellung (wKh8, sKb1, schwarz am Zug) war aber wohl objektiv remis. Andrei wurde blockiert und konnte nicht weit genug voran, da Springeropfer-Durchbruchgedanken zu beachten waren. Und da waren es nur noch zwei Partien. Wobei bei Daniels die Einschätzungen der Beobachter sehr schwankend waren. Gewonnen für Schwarz, gewonnen für Weiß, gewonnen für Schwarz und so weiter, nur Remis sagte keiner. Eugen machte den Spekulationen ein Ende und foppte Daniel. Und dann war es vorbei. Matthias knetete Jochen zwar noch eine halbe Stunde, konnte den verdienten Punkt aber auch nicht mehr klarmachen und so quittierten wir ein 3:5.

Damit sind wir natürlich weiter im Keller (und die Königsspringer an der Spitze, aber das interessiert nun wirklich keinen). Dennoch sagen wir mal das, was Untendrinmannschaften gerne so sagen: es sah viel besser aus, als das letztliche Ergebnis. Es wurde deutlich besser Schach gespielt und vor allem wesentlich mehr gefightet als in den letzten beiden Runden – Matthias am Ende knapp sechseinhalb Stunden. Auf der Leistung lässt sich aufbauen. Noch ist nicht aller Adventssontage abend, es war erst der zweite Advent und die vierte Runde. Nur beim Abschlussessen (familienbedingt dieses Mal nur zu viert) passierte das, was uns bei Königsspringerauswärtskämpfen immer passiert: Matthias‘ Steak wurde, nachdem er auch nur acht Mal darauf hinwies, dass er es ungewürzt wollte, doch gepfeffert.

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