Hamburg in der Champions League
Eine Überschrift, die man auch lange nicht mehr schreiben konnte … aber in Zeiten, in denen alles anders ist, ist eben alles anders.
Während nämlich die Diagonalesen nicht live Schach spielen können und statt dessen im Internet zocken, können die Profis, äh, auch nicht live spielen (Grenke abgesagt, Norwegen verschoben) und zocken statt dessen im Internet. Deswegen findet auch der „European Online Chess Club Cup 2021“, wie der Name schon verrät, online statt und zwar als Schnellturnier (15 Minuten und 5 Sekunden Inkrement). Da Schnellturniere nicht ganz so hochklassig wie andere Turniere sind, war die Besetzung auch nicht die absolute Weltspitze, aber Rapport und Vachier-Lagrave können an guten Tagen auch mit King Kubi mithalten, also ganz ohne war es nicht.
Am Wochenende war die Vorrunde (10er-Gruppen) mit diversen deutschen Teilnehmern. Baden Baden (mit oben erwähnten MVL und Richard Rapport) war an 1 gesetzt, auch Deizisau und der HSK – deswegen die Überschrift – mit Grandelius, Svane, Sune Berg Hansen, Louis Engel, Thies Heinemann und Julian Kramer waren nominell Kandidaten für die Zwischenrunde. Aber schon am Sonnabend wurde heftig gestolpert. Baden Baden knödelte und war sogar zunächst hinter den Schachfreunden Berlin, der HSK verlor beide Schlüsselspiele gegen die direkten Rankingnachbarn und war nach 4 von 9 Runden faktisch schon ausgeschieden. Lediglich Deizisau (praktisch eine deutsche Nationalmannschaft: Blübaum, Keymer, Donchenko, Kollars) und Hockenheim (mit Arik Braun, Dennis Wagner, Rainer Buhmann) schienen von den deutschen Vertretern auf einem guten Weg, während allerdings neben den oben genannten Berlinern auch Schwäbisch Hall (mit einer reinen Damenfrauschaft) und Werder Bremen mit dem Gezeigten sicherlich zufrieden waren, aber mit der Zwischenrunde wohl nichts zu tun haben würden.
Am Sonntag qualifizierten sich auch Deizisau und Hockenheim souverän, während Baden Baden sich mit viel Glück durchstolperte. Apropos „viel Glück“: Der HSK spielte zwar selbst anständig, aber das Ausmaß, das er an unerwartbarer Schützenhilfe bekam, entspricht etwa dem Unvermögen des HSV als Tabellenführer der zweiten Liga 8 Spieltage vor Schluss. Mit anderen Worten: es war unanständig, wie die Konkurrenz hier gegen Mannschaften von weiter unten stolperte, aber es reichte dank vierer eigener Siege hinter den fehlerfreien starken Tschechen von Novy Bor (unter anderem Harikrishna, Wojtaszek, Navara, Ragger) zum zweiten Platz, nicht einmal nach Feinwertung.
In der Zwischenrunde lief es nun hochgradig kurios. 3 von 6 Mannschaften würden sich qualifizieren, aber von der Rangliste her wäre der HSK nicht dabei. Und zum Auftakt gab es auch gegen die klar favorisierten Russen von Ladya Kazan (unter anderem mit der Legende Gata Kamsky) eine ehrenvolle aber eben doch Niederlage. Einem Sieg gegen die Hockenheimer im innerdeutschen Duell folgte dann ein überraschender Erfolg gegen die im Schnitt 100 stärkeren Gegner von Clichy (Jorden van Foreest, Loek van Wely, Maghsoodloo, nur 3 Schreibversuche gebraucht) und auf einmal sah es zwei Runden vor Schluss richtig gut aus. Bis man gegen die bis dahin und danach punktlos gebliebenen Israelis aus Beer Sheva fast ohne Gegenwehr mit 1:3 unterging und nun unbedingt gegen die etwas stärkere Vertretung aus Wroclaw gewinnen musste. Aber wo man schon im Abgabemodus war: Engel und Heinemann standen praktisch mit Ende der Eröffnung auf Verlust, und während Julian Kramer an 4 immerhin einen vielversprechenden Angriff aufbaute, passierte bei Rasmus Svane an 1 nichts.
Aber wenn man schon mal kein Pech hat, dann kommt auch noch das Glück dazu. Thies riss sich immer wieder (mehrfach) vom Abgrund empor und auf einmal war die Stellung remis haltbar. Julian gewann konsequent eine wunderschöne Angriffspartie und die Anzahl der zweitbesten Züge an Luis‘ Brett von Gegner Szymon Gumularz (immerhin auch 2517) nahm zu und urplötzlich war aus der völlig eingemauerten Stellung mit mehr Schwachpunkten als Figuren irgendwie eine Angriffsstellung geworden. Mit Turm mehr. Wunder der Zeitnot im Schnellschach halt. Am Ende 3:1 womit der HSK etwas überraschend und ein klitzekleines Bisschen glücklich jetzt in der Finalrunde der besten 10 Mannschaften (9 Qualifikanten plus Cercle Monte Carlo als Sieger des entsprechenden Damenturniers) mitwursteln darf.
Auch mit dabei wird Deizisau sein, die sich zwar tabellarisch knapper aber faktisch souveräner in einer Parallelgruppe durchsetzen konnten. Nicht mit dabei hingegen Hockenheim (nach gutem Turnier) und Baden Baden (als Top-Favorit sang- und klangloser Tabellenletzter).
Wir werden unserer Vorortvertretung die Daumen drücken.