Hoch im Norder stedt ein Spiellokal
Fast in Bestbesetzung trat die Diagonale bei den ersatzgeschwächten Norderstedtern an. Gegenüber der Meldeliste fehlten dieses Mal lediglich Jens Ove, Niels Jørgen, Christian, Esmat, Daniel, Adesh und Thomine. Und die letzten Reservespieler standen auch schon am Sonnabend fest. Wobei es wirklich die letzten waren, eine weitere Absage wäre nicht mehr zu kompensieren gewesen, sodass wir auch Kranke mitnahmen. Und so fuhr Rudis Resterampe ins Skandinavische, um dem Gastgeber, vor zwei Jahren noch Bundesligist, zu zeigen, was ein Weihnachtsmarkt ist.
Schon dieser erste Plan lief hingegen schief, das wussten die Norderstedter bereits, war ja nicht nur vor den Toren des als Spiellokal herhaltenden Rathauses ein solcher Markt, sondern auch innerhalb desselben führte die Wegbeschreibung zum Spiellokal (rechts halbhoch, dann umdrehen in Stock 1, am Fahrstuhl vorbei über die Brücke, bei Timbuktu in die Unterführung und kurz vor Kathmandu wieder raus, schräg durch den Wasserfall, beim Kannibalendorf geradeaus und dann Treppenhaus 8 ) an einem Kunsthandwerkermarkt vorbei, wie er hauptsächlich ja zu genau dieser Jahreszeit stattfindet. All das sollte uns jedoch nicht stören – etwas mehr schon der im Verlauf der Partien auftauchende Daueralarm von einer der Türen. Ansonsten war aber alles da, was das Schachspielerherz begehrt: Tische, Stühle, Uhren, Kaffee und vor allem Bretter und Figuren, und so konnte ein Zweitadventsspiel beginnen, wie es schon an dutzenden zweiten Advents zuvor gespielt wurde.
Zu den von Heinz-Werner Szudra geführten Protagonisten gehörten dieses Mal:
Christoph Kuberczyk-Andrey Ostrovskiy (2423)
Michael Kopylov (2411)-Matthias Wasmuth
Martin Becker-Emil Powierski (2303)
Viktor Polischuk (2285)-Etienne Döderlein
Marten Holst-Frank Hagenstein (2245)
Christian Michna (2237)-Said Haschimi
Andrei Cotaru-Ralf Bohnsack (2155)
Hanno Sislian (2252)-Tobias Frische
Wie man sieht, also auch in Norderstedt das letzte Aufgebot, Brett 1 und 5 fehlten, so gab es für uns bei im Schnitt nur 374 Punkten weniger gute Chancen, endlich mal den verdienten dreifachen Punkterfolg einzufahren. Auch sonst waren die Mannschaften konstant: jede Runde holten sie zusammen bislang je 2 Mannschaftspunkte (als Spoiler: das sollte auch heute so kommen). Aber vor den Punkterfolg haben die Schachgötter die Caro-Kann-Vorbeizugsvariante mit … c5 gesetzt, die heute Inhalt des Thematurniers sein sollte.
Und so spielten wir munter los, die weißen Diagonalesen erreichten problemlos Ausgleich, die schwarzen waren vom Gemüt her auch ausgeglichen. Und der Leser hat erst einmal jede Menge Zeit, auf dem Weihnachtsmarkt ein zerkochtes Steak im mehligen Brötchen für nur 23 Euro zu konsumieren, denn der Bericht wird erst nach drei Stunden wieder einsetzen.
Drei Stunden später. Es steht 0:0. Draußen brummt ein Türalarm, drinnen die Schädel. Wobei einiges passiert ist, Said opferte zum Beispiel mal ein paar Bauern für Angriff auf den König. In der Form nicht korrekt, sodass er seitdem ein Endspiel mit Wenigerbauern zu verteidigen hatte, aber die Idee an sich war sauber, mit etwas anderer Zugfolge hätte Christian Michna in große Verlegenheit geraten können. Nach drei Stunden war aber auch gut mit der Verteidigung des schlechten Endspiels, die neue Aufgabe war es jetzt aufzugeben, was Said dann auch tat, 1:0 für die Gastgeber.
Marten hingegen kam zunächst sehr passiv aus der Eröffnung, nach einer gegnerischen Verschärfung öffneten sich jedoch jede Menge Diagonalen und Linien in beide Richtungen, sowohl auf g2 als auch auf g7 könnte es ein Matt geben, wenn der jeweils andere nicht aufpasste, vieles hing am seidenen Faden, aber nach dem letzten Zug der Partie hatte Marten einen Bauern mehr – und Frank Hagenstein einen durchschlagenden Angriff. Eine spannende Partie und 2:0 für den SKN.
Christoph stand in einer gefühlten Nebenvariante und tatsächlichen Hauptvariante zunächst einmal optisch sehr angenehm. Gefühlt mindestens gewonnen, tatsächlich +0,08. So richtig konnte sich dann die gefühlte Stellungsbewertung nicht gegenüber der tatsächlichen durchsetzen, und die Züge konnten sich wiederholen konnten sich wiederholen konnten sich wiederholen konnten sich wiederholen. Taten sie nicht, konnten sie aber. Das Ergebnis war dennoch dasselbe und so stand es 2½-½ für die Heimischen.
Und um die Spannung hochzuhalten gaben jetzt auch Etienne (Verlauf mir nicht klar) und Andrei (nach hochsolider Partie in eine mehrzügige Kombi mit überzeugender Gabelidee gerannt) ihre Partien auf. Tobias ließ hingegen in mehralsokayer Stellung eine etwas zu langsame Idee Form annehmen und sah sich einer interessanten aber auch ein wenig bedrohlichen Bauernwalze b5-c6-d6 gegenüber, wogegen sein Mehrbauer weniger ins Gewicht fiel.
Blieben von den zehn, äh, acht kleinen Diagonalesen noch zwei. Matthias spielte lange Zeit eine eher ausgeglichene Stellung, bis es Michael Kopylov langsam gelang, Schwächen zu provozieren, und schließlich einen Bauern zu gewinnen. Mit weißer Bauernschwäche auf b3 (da sollte eh nie ein Bauer stehen) und im eh stets remisen Turmendspiel war da praktisch natürlich noch einiges auszudiskutieren, aber Michael diskutierte eifrig mit und kam schließlich mit schlüssiger Idee zum Abschluss, Schwarz brach zusammen und Norderstedt durfte auch einmal einen Brettpunkt einstreichen.
Martin stand durchgehend gut (sagt der Computer, der Berichterstatter war sich nicht immer so sicher, bin nicht sicher, wer jetzt besser in Stellungsbewertung ist, Stockfish oder Marten) und ließ leider manch Freude versprechende taktische Idee aus bis er schließlich in einem Endspiel mit Wenigerbauern landete. Auch hier war nicht alles klar, und mit Cotaruesken Ideen hätte das Remis wohl klappen können, so wurde es aber irgendwann Springer+1 gegen Läufer+2, und die Bauern des Langschritters waren sehr weit auseinander (b+h, Läufer mit richtiger Farbe), sodass auch Martin nach langer Gegenwehr die Segel strich.
Am Ende also ein 7½-½ gegen uns mit dem wir paradoxer Weise dennoch zufrieden waren. Mit dem Ergebnis selber vielleicht nicht, aber mit den Partien. Klar, es hätte hier und da ein halber oder ganzer mehr sein dürfen und auch können, aber jeder einzelne hat heute für unser Niveau ordentlich gespielt und deutlich drüber gekämpft und keine Partie für sich genommen war eine einseitige Sache ohne Chancen. Dass wir den Personalmangelhöhepunkt (Klopf auf Holz) nun ausgerechnet in dieser Partie hatten, war nun einmal so, und auch bei allen möglichen halben oder ganzen Zusatzpunkten wäre ein Sieg heute nicht drin gewesen, der Verlauf war in der Summe zu einseitig, und schon gar nicht verdient gewesen.
Verdient aber war, dass Matthias sein Essen im ersten Anlauf ohne Würzmittel bekam – und wenn selbst das klappen kann, dann ist der Klassenerhalt noch nicht abgeschrieben. Können können wir in jedem Fall, das hat sich heute gezeigt. Wollen wollen wir auch. Jetzt müssen wir nur noch tun tun.