In Wedel, in Wedel ist’s stets besonders edel
Runde 5 der Stadtliga war eine, auf die ich mich persönlich ganz besonders gefreut hatte. Vor unserem ausgedehnten Irrlauf in höheren Gefilden waren wir ja 22 Jahre ununterbrochen Bezirksligisten – und wir waren nicht alleine da. Wedel, Pinneberg, Lurup, Union 3, HSK 11, eine Mannschaft von St. Pauli und weitere waren auch da. Manchmal stieg eines der Teams in die Stadtliga auf oder die Kreisliga ab, kehrte aber immer reumütig zu uns zurück. Uns so kannte man sich und schätzte man sich und viele der Spiele, nicht zuletzt gegen Wedel, waren keine reinen Mannschaftskämpfe um Punkte, sondern entwickelten den Charakter eines Klönschnacks mit Spieleabend bei Freunden.
Und nach unserem längeren Ausflug war es schön, die alten Hasen mit den alten Nasen mal wieder zu sehen. Dass tatsächlich viele Akteure auf beiden Seiten die selben waren wie noch vor fünfzehn Jahren spricht einerseits für die Langlebigkeit von Schach als Sport, andererseits nicht so für die Nachwuchsentwicklung der beiden Vereine, aber es sorgte dafür, dass das alte Flair sofort wieder aufkeimte. Auch wenn aufgrund eines Risses in der Matrix ich nicht gegen Jürgen Nikodem gespielt habe. Ich habe seit ich denken kann immer gegen Jürgen gespielt. Und auch seit die anderen denken können, auf eine bestimmte Partie vor 25 Jahren (ich stellte die Dame vor dem zehnten Zug ein) wurde ich netterweise von mehreren der Gastgeber wieder angesprochen. Die wussten sogar noch, dass es ein Trompowski war, ein Detail, dass ich nicht mehr auf dem Schirm hatte. Stattdessen gab es folgende Paarungen:
Matthias-Victor Lamzin (1920)
Henning Neu (1878)-Tareq
Marten-Norbert Reimann (1856)
Jürgen Nikodem (1794)-Tobias
Martin-Christian Neller (1796)
Jan Bartels (1759)-Andrei
Rainer L-Mohammed Shah Hotaki (1728)
Robert Law (1701)-Daniel
In der Summe waren wir quantitativ somit knapp favorisiert (im Schnitt 50 besser), auch nicht ganz unwichtig, war es mit Letzter gegen Vorletzter dann eben kein reiner Klönschnack, sondern eben auch ein Duell um wichtige Punkte im Kampf um den Klassenerhalt. Und schon bald waren wir nicht nur im Stadtteilveranstaltungszentrum „Mittendrin“, sondern auch mittendrin in den Partien.
Und zwei schnell wieder raus, beziehungsweise vier – nach knapp zwei Stunden kamen die ersten Ergebnisse zu Stande. Und hier muss ich den Bericht der Gastgeber übel tadeln, wäre das Verhältnis zwischen den Vereinen nicht so gut, wäre es auch eine Meldung an den Landesturnierleiter wert. Tatsächlich hat natürlich nicht Brett 2 kurz nach Brett 3 Remis gegeben, sondern es war selbstverständlich andersherum.
Bei Tareq an Brett 2 war aus einer für mich schrägen Eröffnung ein Pirc-Ufimzew-ähliches Geknäuel entstanden, in dem Weiß etwas schnellere Entwicklung und Schwarz etwas bessere Struktur als üblich hatte, aber los war nichts. Hätte man auch mit beiden Seiten noch weiterspielen können, aber richtige Ideen hätte ich aus der Ferne (50cm vom Nebenbrett) jetzt auch nicht gehabt.
Bei mir an Brett 3 war hingegen jede Menge los, irgendwie flogen die Figuren im Geschwindigkeitsrausch vom Brett und nach gerade einmal 20 Zügen waren wir mitten in einem gleichläuferigen Turmendspiel (schlechter Läufer gegen schlechter Läufer) und auch wenn Stockfish die Vorteile am Ende mit +0,04 eher bei mir sah, eine zu schnelle Initiative hätte schnell auch das Schaffen von Angriffspunkten für den Gegner bedeuten können.
Und während in der Zwischenzeit Matthias, Tobias und Daniel solide Partien spielten, allesamt mit aus Gästeaugen betrachtet gefälligen Stellungen, ging an den Brettern dazwischen die Post ab.
Andrei hatte eine Variante, die wir vor 10 Jahren in der Landesliga einmal mit Johnny durchgegangen waren. Ich weiß ja, dass das alles geht, aber für mich sah es genau so scheußlich wie vor 10 Jahren raus, so ohne Rochade mit isoliertem Doppelbauer. Und wie vor 10 Jahren zeigte Andrei eben, dass es doch ging, holte sich Initiative und einen Bauern und stand einfach sehr angenehm.
Martin hatte nach normalem Anfang irgendwo etwas übersehen und Schwarz schubste ihn schon bedenklich rückwärts, schielte mit einer Läufer-Dame-Batterie auf das Matt auf h2 und drohte, den deckenden Springer f3 abzutauschen. Martin war also im gewohnten Klimmzugmodus, aber Klimmzüge sind ja auch Züge.
Rainer hatte sich viel Raum und Initiative am Damenflügel erarbeitet und stand in des Gegners Stellung herum und entschloss sich, mit einem Zwei-Springer-plus-Läufer-Knäuel die schwarzen a- und b-Bauern abzuholen. Auch wenn das Knäuel dadurch erst einmal ein wenig gebunden war, sah das sehr schön aus.
In der Summe war es zu dieser Zeit verhaltener Optimismus, aber entschieden war da noch nichts. Die Post ging aber (über einen längeren Zeitraum jetzt) weiter an den Brettern 5 bis 7 ab.
Rainers Figurenknäuel hielt doch nicht komplett, aber Turm und zwei Bauern gegen Läufer und Springer war auch kein Beinbruch, der Raum zum Spielen schien da zu sein. Leider (für uns) scheint Mohammed eher ein Spielertyp wie dereinst Andreas Czepulis zu sein, der eben nicht tauscht oder deckt, sondern gegenstürmt, was Rainer heute nicht so schmeckte, und plötzlich bröselten die Bauern weg und die schrägen schwarzen Damenflügelfiguren zielten fiese gen weißen Königsflügel. Am Ende kam Rainer trotz einer schönen Partie (von beiden) leider mit dem kürzeren Strohhalm zum Mannschaftsführer, 1:2.
Andrei hingegen konnte nicht nur seine Struktur leicht verbessern, sondern vor allem im Endspiel einen gedeckten Freibauern schaffen. Als dann eine kleine Taktik sämtliche verbliebene Figuren vom Brett wehte, war das verbleibende Bauernendspiel trivial gewonnen, was Jan auch so sah und die Hand zum Schütteln über das Brett hielt. 2:2.
Am interessantesten weil kuriosesten war hingegen Martins Stellung. Der Gegner hatte eventuell voreilig seine Dame auf h2 in die weiße Rochadestellung gestellt, wo sie mit dem Zug Sg3 (bei Kf1 und Bf2, g2, h3) komplett aus dem Spiel ausgesperrt war. Martin also mit de facto Mehrmaterial im Spiel während Christian hoffte, die Dame befreien zu können um dann auf seinen Mehrbauern zu setzen. Um es kurz zu machen, die Dame blieb den Rest der Partie auf h2 und mit einem herrlich kuriosen Zug konnte Martin sie dann zwingend gewinnen.
(Nach dem Rückzug auf das Ausgangsfeld Dd1 hängt die weiße Dame eben nicht, wegen Grundlinienmatts, und gegen Th1 mit Damenfang ist kein Schnittlauch mehr gewachsen.)
Nun also 3:2, was taten die verbleibenden Bretter so? Nun, schönes taten sie. Bei Matthias war zwar das materielle Gleichgewicht nie gestört, aber nachdem seine Raumvorteile von Beginn der Partie zu verpuffen drohten, sorgte er vor dem Damentausch mit Fieser-Möpp-Mattdrohungen für eine bessere Struktur, die es nun im Doppelturmendspiel anzugehen galt. Bei je vier Bauern zwei gegen vier Inseln.
Jürgen hatte gegen Tobias eine Figur ins Geschäft gesteckt, um Angriff zu erhalten. Eventuell inkorrekt, aber die sich ergebende Initiative muss Tobias erst einmal abwehren – und dann auch noch seinen eingeklemmten Damenflügel befreien, damit die Mehrfigur auch real mitspielen kann. Dieses gelang ihm zunächst sehr überzeugend und die unmittelbaren weißen Drohungen wurden zusehends weniger, was leider auch zusehends weniger wurde, war hingegen Tobias‘ Zeit. Wenn er bis zum 40. Zug durchhält ohne die Partie einzustellen, dann müsste das normalerweise ausreichend sein.
Daniel hingegen bekam langsam Übergewicht, ein auf b3 eingepflanzter Läufer verhinderte, dass Bob mit Td1 auf der einzigen offenen Linie verdoppeln könnte, und so scheuchte er die frechen weißen Klötze langsam zurück.
Von nun an überschlugen sich die Ereignisse (Zitat „Akte XY ungelöst“, 1989). Bei Tobidobidoo war die Stellung zwar extrem spannend, die Augen aller Anwesenden wurden aber mehr und mehr von der Uhr abgelenkt. Aus Tobias‘ 7 Minuten für 17 Züge wurden 5 Minuten für 14 Züge, so weit so gut, dann aber 1:19 für 9 Züge, schließlich 17 Sekunden für 6 Züge in immer noch hochkomplexer Stellung. Und als ich das nächste Mal vorbei kam, musste ich dann als Mannschaftsführer-Schiedsrichter auf Zeit reklamieren – sehr zur Konsternation beider Spieler, die der Meinung waren, Tobias hätte die Uhr gedrückt (seine Zeit lief während Jürgen am Zug war) und es müsste ein Materialfehler sein. Zeugen der Gastmannschaft gaben aber an, dass er es vergessen hatte, und so sinnierte Jürgen Tobias‘ Zeit hinfort (bevor das jemand als Vorwurf liest, es ist keiner, es war eine komplizierte Stellung und er hatte noch die Option nachzudenken). 40 Züge waren noch nicht gespielt, und somit stand es 3:3.
Allerdings konnten in diesem Tohuwabohu sowohl Matthias wie auch Daniel unauffällig gegnerisches Material vom Brett zaubern. Legal versteht sich. Matthias einen Bauern mit einem klassischen Motiv (w Tf5, b7, s Kg8, Tb8, f8, Bf7 – es geht einfach Tfxf7), Daniel in einem komplizierten Mittelfeldknäuel, wo er zwei Leichte für den Turm bekam. Stockfish fand zwar noch ein Motiv Springer gegen Bauer zu gewinnen, das minimal besser war, aber entscheidend war das nicht mehr.
Und damit war die Luft raus, beide Stellungen nun klar besser, auch wenn man als Wedeler verständlicherweise sich das noch zeigen lassen will, aber unsere Jungs zeigten. Matthias gewann zuerst. Daniel gab daraufhin Remis – die Stellung war zwar gewonnen, aber das konnte noch dauern und der Kampf war entschieden und wir wollten ja noch nach Lüneburg und Buxtehude und Bergedorf und so nach Hause.
Mit dem 4,5:3,5 verabschieden wir uns damit zunächst einmal von den direkten Abstiegsplätzen (Platz 8 ist natürlich wegen der Ligareform alles andere als sicher, hier ist auch der Quervergleich mit der B-Staffel spannend, in dem wir derzeit aber gut aussähen), während für Wedel nun wohl leider der Bonbon genossen ist. Unser Restprogramm enthält allerdings auch nur wenige (Null) sichere Punktelieferanten, irgendwo werden wir uns wohl noch mindestens ein Mal strecken müssen, besser zwei Mal. Aber dieser Sieg war schon wichtig, danke an Alle, insbesondere Rainer, Martin und Daniel, die berufliche und organisatorische Hürden überspringen mussten, um heute überhaupt spielen bzw. anreisen zu können, aber auch an die Wedeler für den gewohnt netten Abend. Vielleicht gibt es ja nächstes Jahr in der Bezirksliga ein Rematch. Oder übernächstes in der Stadtliga. Oder in fünf Jahren in der zweiten Bundesliga. Ich freue mich darauf.