So wie einst Tina Turner
Genau so wollen auch wir auf Abschiedstournee gehen. Nachdem das Ende (der Abstieg) ja bereits feststand, noch einmal die Miniröcke an, die Perücken auf die schütteren Haare und den Laden rocken. Die Aula der Schule „Alter Teichweg“ war dafür auch gut gefüllt (mit Menschen, nicht mit Sauerstoff). Und für eine nächste Abschiedstournee in wenigen Jahren wird es dann sicher auch reichen.
Erstmalig nach Corona konnte wieder die traditionelle Abschlussdoppelrunde vor Ort stattfinden, immer eine nette Sache und oftmals von großer Spannung bis zum Schluss geprägt. Letztere war dieses Jahr eher dünn, wir waren schon abgestiegen, Fischbek so gut wie aufgestiegen, lediglich der vorletzte Platz, der zweite Absteiger, hing noch zwischen einigen Mannschaften in der Schwebe, das bereitete uns aber keine besondere emotionale Verstrickung. Es ging nur noch einmal darum, die Flagge der Diagonale hochzuhalten, gutes Schach zu spielen und Spaß zu haben.
Nun, einer aus drei ist ja nicht schlecht.
Am Sonnabend trafen wir mit Tareq, Martin, Marten, Tobias, Haschem und Said sowie zwei Meldeleichen mit einem leichten Starthandicap aber neuen Socken auf St. Pauli III. Etwas wurde das Handicap dadurch relativiert, dass ein Kiezianer zur Alten Forst fuhr und dann Rainer entsetzt anrief, wo wir spielen würden – von der Forst zum Teichweg reichte es nicht mehr in der Zeit und daher begannen wir letztlich mit 1:2 und Marten durfte den Vereinswhatsappkanal auf dem Laufenden halten.
Und das Laufende war so schlecht gar nicht. Ich nehme vielleicht einmal vorweg, dass wir nicht 8:0 gewonnen haben, aber die Spieler spielten ordentlich. Tareq vielleicht am ordentlichsten in dem Sinne, dass nicht so viel passierte und er nach solidem Aufbau auf beiden Seiten gegen Guido Schleicher (2165) Remis gab, um den Rest des Tages für eine Vorbereitung gegen Großhansdorf nutzen zu können.
Martin hatte eine interessante Variante gegen Jakob Goepferts (2140) Caro-Kann aufgefahren. Der Königsturm kam über h3 ins Spiel und schaute mal, wo er sich platzieren würde können. Leider gab es später eine Taktik und quall, war die Futsche schwupps. Bedauerlich und auch nicht mehr wirklich kompensierbar.
Tobias sah gegen Frank Müller (2079) lange gut aus – wenig Wunder, so gut wie er eh immer aussieht – aber irgendwie passte irgendwo irgendwann irgendwas nicht so ganz (bekommt Nena für diesen Satz jetzt eigentlich Tantiemen? Ich hoffe doch, dass nicht) und Frank stellte den Mannschaftssieg für die Paulianer sicher.
Haschem hatte gegen Torsten David (2039) ebenfalls eigentlich eine angenehme Stellung, aber dann spiegelten sich die Ereignisse vom Nachbarbrett und nach Beendigung der Zeitnot ergab ein Nachschauen auf dem Brett, dass da nichts mehr bei rumkommen würde.
Sein Bruder machte es an 8 deutlich besser. Sowohl er als auch Opponent Guntram Knecht (2052) waren einer Debatte zum Thema „wer schlägt schneller zu“ nicht abgeneigt, und der Königsflügel füllte sich mit tollwütigen Figuren. Eine Partie zum Nachspielen und genießen – bis zu dem Zeitpunkt, da Said einen Turm falsch herum deckte und statt mit einem durchschlagenden Angriff hocherhobenen Hauptes durch die Tore der schwarzen Festung zu reiten, kostete ein Fesselungsmotiv letztlich eine Figur – und wenn man dann nicht sofort etwas im Angebot hat, dann ist das meist problematisch, so auch heute.
Alles in allem mit 1,5:6,5 mal wieder eine deutliche Klatsche, die einerseits gar nicht so klar war, wie das Ergebnis es darstellt, andererseits aber eben zeigt, dass uns eben die eine Nuance oft fehlt, um auf dem selben Niveau mit unseren Gegnern zu sein, und wir deswegen eben bei allen gültigen Ausreden über die mehr als bescheidenen Umstände dieser Saison ein verdienter Absteiger sind.
Dennoch sollte Runde 9 für uns, oder zumindest manche von uns, noch einmal ein Schmankerl bereithalten. Unser Gegner Großhansdorf war zwar nur Vorletzter und musste unbedingt für die letzte theoretische Chance zum Klassenerhalt gegen uns gewinnen (Spoiler: Großhansdorf hat die Klasse gehalten), aber an den vorderen Brettern saßen mit IM Enno Heyken (3), IM Anita Gara (2) und GM Matthias Wahls (1) durchaus Kaliber, die unsereiner normal nicht ans Brett bekommt und wo alleine das Spielen schon eine Freude und ein Erlebnis sein kann. Daher auch Tareqs Vorbereitungswille für Brett 1. Daniel ließ sich allerdings an 2 auch von dieser Aussicht nicht aus der Reserve locken, aber an 3 maß sich Martin mit Enno Heyken.
Beginnen wir jedoch mit dem Fußvolk. Marten ist ein Trompowski mit Schwarz gegen Gerd Kuhn (1981) aber mal sowas von missglückt – und auch wenn er zurückzukommen schien, so war am Ende in schon schwieriger, wahrscheinlich sogar verlorener (genau werde ich es nie wissen, denn diese Partie wird nie auf meinem Computer landen und wenn ich sie eigenhändig aus allen Datenbanken löschen muss), Stellung die Dichte und das Ausmaß an elementaren Zählfehlern beeindruckend. Es war keine von den oben angesprochenen Partien des Typs „da fehlte eben eine Nuance“. Die Bezeichnung kann auch Said gegen Joachim Felten (2082) nicht ernstlich verwenden. Vielleicht nicht so extrem, aber Schritt für Schritt ging es bergab und der Gegner ließ sich dann auch nicht von haschimiesken Chaoszügen beeindrucken. Und vier Bauern weniger sind eben nicht gut.
Der Berichterstatter fürchtete zu diesem Zeitpunkt schon, das erste 0:8 seiner aktiven Zeit protokollieren zu müssen, aber weit gefehlt, Tobias‘ Stellung hatte ich völlig falsch eingeschätzt, diese war sogar klar besser bis zeitweilig gewonnen, aber angesichts knapper werdender Zeit und einiger Möglichkeiten unklarer Schärfe entließ er Ulrich Spindel (2080) in ein für letzteren glückliches Remis.
Die letzte Partie des Tages und damit unserer Landesligazugehörigkeit gehörte dann Haschem. Gegen Ernst-Helmuth Varain (2021) stand er auch unschön bis passiv, aber gegen seinen sonstigen Spielstil verteidigte er hochsolide und auch wenn es bis zum endgültigen Remisgebot des Gegners nicht klar war, ob er würde halten können, eben jenes Remisgebot zeigte dann an, dass er konnte und somit einen versöhnlichen Saisonabschluss für uns sicherstellte.
Und ja, der Bericht war hier etwas achronologisch, denn von den vorderen Brettern hatte ich ja noch nichts gesagt, obwohl sie schon fertig waren. Tareq hatte sich eine wohlgekleidete Königsindischidee zurechtgelegt, die Matthias Wahls (2531) vollständig in die Hände spielte und schon früh war der Anzugsvorteil hopp. Tatsächlich mehr als das, wie die anschließende Analyse zeigte. Für den unbeteiligten 1800er sah es so aus, als ob weiß langsam zusammengeschoben wurde, aber sich nach Kräften wehrte und Tareq kann auf die Partie meines Erachtens auch stolz sein, einige Zeit konnte er sich gut wehren. Für den beteiligten GM hingegen war die Partie längst im höheren, tieferen und mittleren Sinne gewonnen und die nachfolgende Analyse war sehr instruktiv und nett und gewürzt mit Anekdoten von und über britische Großmeister wie Nunn, Miles oder Keene. Aber sie zeigte eben auch sehr deutlich, dass zwischen uns und einem Platz im Kandidatenturnier noch einige Nuancen an Schachverständnis der elementaren Art passen. Ich gebe aber gerne die Großhansdorfer Bitte hier weiter, Wahls‘ Kanal auf Jutjuub einmal anzusehen, zu abonnieren und zu laiken.
Bleibt Martin gegen Enno Heyken (2331). Ebenfalls eine Partie, die ich hier nicht angemessen beschreiben kann, ich empfehle, die Landesligapartien runterzuladen und selbst einmal reinzuschauen (meine Partie bitte vorher aus der Datenbank löschen, danke). Die Eröffnung war dem Laien erneut unklar und Martin geriet bereits in eine Phase von Klimmzügen, um nichts Entscheidendes geben zu müssen. Enno ließ sich jedoch auf eine scharfe Idee ein, Bauer gegen Qualle aber Angriff dachte ich, aber er schwenkte sogar um auf Dame und Bauer gegen Turm und Läufer im offenen Mittelspiel. Hier ging immer überall alles, einen zweiten Bauern bekam Enno noch, Martin aber auch einen zurück. Letztlich erlaubte sich nach der bisherigen Analyse Martin nur eine klitzekleine Ungenauigkeit – die aber auch nichts daran ändern konnte, dass Stockfish sein beliebtes „0.00“ als Stellungsbewertung auswarf und in immer noch relativ fuchswilder Stellung sah Enno das genauso, die beiden schüttelten sich die Hand und Martin darf sich jetzt hochverdient zumindest einen halben IM-Skalp über die dünneren Stellen auf dem Kopf drapieren.
Tja, und das war es nun. Ein besonderer Dank geht an Haschem, der alle 9 Partien durchspielen konnte. Und überhaupt allen, die trotz der Umstände stets für eine gute Stimmung gesorgt haben – denn das war sie.
Den ersten Bericht nach dem Landesligaaufstieg 2012 beendete ich noch mit „Wir sind gekommen, um zu bleiben“. Und das sind wir dann ja auch einige Zeit, bis wir auf einmal in die andere Richtung entfleucht sind. Sofort zurückkamen und nun geht es wieder zurück in die Wochentagswelt. Nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben angesichts der – man verzeihe mir dieses Wort – beschissenen Umstände der letzten Jahre, aber dass es irgendwann passieren würde, war nicht ganz unerwartet. Und in der Summe war es eine schöne Zeit. Nicht jede Runde (wer erinnert sich noch an die Amokgefriertruhe in der Signal-Iduna 2014?), aber in der Summe. Hoffentlich übersteht das Dubrovnik den nun erst einmal ausbleibenden Verkehr.
Und nach zehn Sonntags-Schach-Saisons gönne ich uns an dieser (Sollbruch-)Stelle noch etwas Statistik.
90 Mannschaftskämpfe, davon haben wir 31 gewonnen, 16 Unentschieden, 43 Niederlagen für 78:102 Mannschaftspunkte – außerhalb der beiden Abstiegssaisons waren wir also sogar leicht positiv. 338,5:381,5 Brettpunkte (aber eine überragende Berliner Wertung, die ich jetzt nicht ausrechnen mag). Die höchste Niederlage war ein ½:7½ gegen den Norderstedter SK in der Oberliga, die höchsten Siege mit je 6½:1½ gegen St. Pauli III und Großhansdorf in der Aufstiegssaison.
Die meisten Partien hat Martin gespielt (78), die meisten Siege Christoph erzielt (31), am häufigsten remisierte Matthias (45), die niedrigste Remiquote von Spielern mit mindestens drei Einsätzen hatte Said (1 Remis aus 17 Partien entsprechend 5,88%). Niels Jørgen blieb in seinen 63 Einsätzen ungeschlagen (+29, =34). Die höchste Punktequote hatte Michael Hohlbein (100%, 2/2), bei den regelmäßigeren Spielern Jens Ove (+22, =7, -3 für 79,69%).
Insgesamt haben 29 Spieler in der Mannschaft gespielt. Sortiert alphabetisch rückwärts nach dem dritten Buchstaben des Nachnamens:
Marcel Heymuth (1/5), Rainer Laugwitz (0/2), Andrei Cotaru (11,5/41), Adesh Easwaralingam (7,5/12), Matthias Wasmuth (43,5/76), Said Haschimi (3,5/17), Haschem Haschimi (6,5/27), Divyam Martin-Sommerfeldt (4/12), David Hernandez (6/19), Jonathan Carlstedt (7/9), Florian Jürgens (2/7), Daniel Hoppe (9,5/24), Thomine Stolberg-Rohr (5/11), Marten Holst (17/47), Tobias Frische (2,5/9), Esmat Guindy (12,5/29), Gregor Spieß (8,5/15), Niels Jørgen Fries-Nielsen (46/63), Jens Ove Fries-Nielsen (25,5/32), Jens Schmidt-Wilke (4,5/9), Michael Hohlbein (2/2), Lukas Zierahn (0/1), Tareq Syed (7/16), Alf Andries (3/6), Etienne Döderlein (9,5/26), Martin Becker (22,5/78), Christian Zacharias (26/42), Fabian Tobianski (2,5/7), Christoph Kuberczyk (42,5/61).
Hinzu kamen 15 kampflose Niederlagen (8 davon in dieser Saison; 14 waren vorher „geplant“ – aber keine taktisch, sondern stets aus der Not geboren -, nur einmal konnte ein Spieler seinen Wecker nicht hören, ich werde meinen Namen hier aber nicht nennen).
5 Spieler standen als Einwechseljoker bereit, bekamen aber keinen Einsatz: Michael Feske, Jens Finkhäuser, Leonardo Zuniga Vargas, Rainer Jonasson, Armin Hübel.
Nicht zu vergessen sind selbstgebackene Kuchen von Kirsten und Silke, der quittungsschwenkende und schiribezahlende Kassier (wenn er nicht ans Brett musste), Kaffeekocher (meist begannen deren Namen mit M, an einem denkwürdigen Vormittag allerdings …), helfende Abbauhände – auch durch Gastmannschaften – und vieles, was ich jetzt trotz der Einleitung „nicht zu vergessen“ schlicht vergessen haben werde.
Och, war scho schee.