Vereinsmeisterschaftspokaldoppelfinale

Nach langem Hin und Her und gefühlt 12 Umzügen, 17 Krankheiten und 189 Stress-auf-der-Arbeit-Tagen kamen Martin und Marten nun doch noch zusammen, um endlich die Herbstsaison zu einem Abschluss zu bringen.

Dabei ließen wir uns auf ein Experiment ein – weil bei der Historie zwei Termine zum Spielen zu finden unwahrscheinlich schien und jeder einmal weiß hatte, wurden beide Partien parallel mit regulärer Bedenkzeit gespielt. Dieses Konzept gibt es als eigene Turnierform und hatte Martin schon länger gereizt, so konnten wir es einmal sinnig einbringen. (Anmerkung: das entspricht natürlich nicht den FIDE-Richtlinien für auswertbare Turniere, weswegen diese Spiele für Auswertungszwecke als „kampflos“ gewertet werden.)

Die Ausgangslagen waren dabei für beide Turniere unterschiedlich. Das Pokalfinale Marten-Martin war ein Finale – der Gewinner wäre Pokalsieger, bei Remis gäbe es Stechen. In der Vereinsmeisterschaft hingegen (Partie Martin-Marten) hatte Martin einen Punkt Vorsprung, wäre also bei Sieg oder Remis Meister, während hier Marten gewinnen müsste, um überhaupt ein Stechen zu erreichen.

Die erste Überraschung waren vielleicht schon die Eröffnungswahlen: Marten-Martin war ein Katalane mit (vorläufig) geopfertem c4, Martin-Marten ein Najdorf-Sizilianer. Beides in dieser Konstellation wohl von uns noch nicht gespielt, zumindest nicht in Turnierpartien. Und obwohl zumindest meine Theoriekenntnisse schnell am Ende waren, hatten beide Partien doch noch lange Vorläufer in der Datenbank. Der Katalane war selbstverständlich eine Neudiskussion einer von uns zur Vorbereitung natürlich ausanalysierten Partie Daniil Dubov gegen Daniel Fridmann, also zweier besserer Großmeister, während auch der Najdorf lange immerhin zwei 2300- bzw. 2400-Vorläufer-Partien hatte. Da allerdings jeweils beide Elozahlen der Spieler zusammengerechnet. Und es entwickelten sich zwei hochspannende Partien.

Im Pokalfinale hatte Marten einiges an Initiative für den geopferten Bauern, allerdings hätte nach erster Analyse Martin entweder den Bauern geeignet zurückgeben können oder verschärftes Spiel am Damenflügel suchen, es hätte Martens Konzept sehr in Frage stellen können. Statt dessen hielt Martin sich etwas zu sehr am Mehrmaterial fest – was noch spielbar war, aber dann bedurfte es nur noch eines unglücklichen Turmzugs, um in diverse Fesselungen hineinzulaufen, und eine davon kostete eine Figur. Das wäre zwar bei tieferem Rechnen noch vermeidbar gewesen, aber die entstehende Stellung hätte man mit Schwarz auch nicht spielen wollen. Das Endspiel mit Wenigerläufer und passiver Stellung wollte Martin auch nicht und er gab auf, womit Marten Pokalsieger war.

Zu diesem Zeitpunkt lief die Meisterschaftspartie noch. Mit Schwarz zum Siegen verdammt, versuchte Marten bewusst, Asymmetrien zu erzeugen und auch hier Bauern für Initiative zu geben, hier verschmähte Martin allerdings die Speise und stellte einfach nur Figuren vernünftig hin. Und der schwarze Vormarsch war zwar ernst zu nehmen, aber doch etwas zu unkoordiniert, um wirklich Vorteil herauszuholen. Und mitten in der Suche Martens nach Fortsetzung seiner Aktivität wechselte Martin den Spielstil – prosaisch konnte er alles abtauschen, nun doch den Bauern mitnehmen – und es ergab sich ein Endspiel, in dem weiß sicher und ohne jede sonstige Asymmetrie einfach einen Bauern mehr und bessere Schwerfiguren hätte. Martin nutzte die Gelegenheit, um Remis zu bieten, und da es wirklich überhaupt keine Handhabe für Angriffsspiel und Kompensationssuche mehr gab – der Mehrbauer konnte einfach in alle Ewigkeit in einer Art Festung festgehalten werden, wenn Martin nicht einen Ansatz für mehr gefunden hätte, und es gab Ansätze – gratulierte Marten mit der Remisannahme Martin dann zum Meistertitel.

Was das Experiment „zwei Partien parallel“ betraf: es half sicherlich, dass sich zwei Spiele entwickelten, die beiden Seiten Spaß gemacht haben und spannend waren, auch wenn sie nicht ganz auf dem Niveau einer normalen Turnierpartie waren, besser als Schnellschach wurde denke ich schon gespielt. Problematisch ist es natürlich, in beiden Spielen gleichzeitig am Zug zu sein und sich entscheiden zu müssen, wo der Hirnschmalz konkret hinsollte. Zu Beginn war das eher Marten, später eher Martin, dann wieder Marten, am Ende waren aber beide Zeitverbräuche in beiden Partien recht ähnlich. Was wir obendrein gegenüber einer solchen Veranstaltung als Turnier nicht hatten, ist ein Zusammenhang der Partien – beide waren ja eine eigenständige Turnierentscheidung. Wären sie wie für diesen Modus üblich zusammengezählt worden, so hätte Martin sein vorteilhaftes Endspiel sicherlich noch stundelang kneten können (wahrscheinlich erfolgreich). Ein wenig stressig ist es aber schon. Vielleicht wird der Schachwart aber eines Tages mal darüber nachdenken, in diesem Modus ein Schnellturnier für Interessierte vorzustellen.

(Hinweis zum Bild: Martin ist gerade in beiden Partien am Zug und wird als nächstes in beiden die Damen ziehen – Zufall oder ein Effekt des Paralleldenkens?)

Und ein Nachtrag: Obiger Bericht basiert auf unseren (Martins und Martens) Eindrücken nach der Partie und einer kurzen Analyse. Stockfish sah einiges ganz anders: die Pokalpartie goutierte er in der Summe gut, bis auf jenen erwähnten vermaledeiten Turmzug war keiner ein deutlicher Zehntelbauerneinsteller – Martins Damenflügelgegenspiel wäre zwar besser gewesen, aber weder hätte er dann eine Gewinnstellung erreicht noch war es so eine Verluststellung. Mit der Meisterschaftspartie war Stocky deutlich unzufriedener, aber auch diese war in der Summe auf einem höheren Niveau, als wir dachten, wenngleich Martins Vorteil langsam anwuchs (nach einem zwischenzeitlichen Rückfall auf grob 0,00) und am Ende wäre es nichts mit „stundenlang Kneten“ gewesen, das Remisgebot war schon in einer mit Plus 6 bewerteten Stellung. Ich denke aber, unsere eigene Analyse ist hier mehr wert, weil deutlich näher an dem, was gekommen wäre.

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