Wer willenlos wichtige Weißpartien wegwirft, wird wohl wanken
Wir waren – lassen wir das. In jedem Fall stand das kneipigste aller Ipswichs, das gastronomischste aller Plymouths, das lokalste aller Derbys an. Schwarz-Weiß gegen Diagonale. Ein Kampf, den es seit 2017 nicht mehr gegeben hatte, und den es bis Juni 2018 auch nicht mehr geben wird.
Allerdings stand er dieses Jahr unter ungewöhnlichen Vorzeichen. Nicht nur, dass er an einem Abend mit 4 Grad und eisigem Wind stattfand (arme Smöker), umgeben von lauter lauen bis warmen Frühlingstagen, nein, auch die Ausgangssituation der beiden Mannschaften war nichtidentisch. Während der Gastgeber nach mäßigem Start gemeinsam mit Blankenese und Wedel das hintere Feld ausmachen, war den Gästen ein überraschend guter Start geglückt, sodass sie sich inmitten der beiden HSK-Vertretungen momentan aufstiegsgefährdet sahen. Entsprechend war die Diagonale denn auch der Favorit, bei der beinahe weitesten Auswärtsanfahrt der Liga die Punkte mit nach Hause zu bringen.
Der Beginn war zunächst von Eröffnungen geprägt. So gab es einen Nimzowitsch-Larsen an 1 (Marten gegen Hans-Jürgen Steiner, 1805) oder einen Caro-Kann an 2 (Timm Linnebuhr, 1678, gegen Haschem) zu bewundern. Said an 3 spielte einmal („und nie wieder“) Londoner System gegen Haudegen Reinhard Decker (1764) und Dave servierte Günter Schmidt (1705) französische Küche. Die Eröffnungsphase Lukas‘ gegen Nils Mauch (1582) habe ich nicht so mitbekommen, aber Gesprächsthema über den Abend sollte (eröffnungstheoretisch) die Partie RainerLs gegen Heinrich Bode (1539) werden, ein klassischer Italiener, bei dem mehrere Spieler unabhängig voneinander bemerkten, dass in dieser Spielweise man wenigstens noch wüsste, wieso welche Figuren wohin zögen, nicht so wie bei dem neumodischen Komikquark, der heutzutage bei der Renaissance der Eröffnung gespielt werde. Man merkte also: wir werden alt. Alle. Man merkte also auch: diese Partie könnte die letzte werden, um die noch gekämpft wird. Die Partienliste nach hinten abgerundet wurde durch Siyuan Lu (1414, wahrscheinlich aber noch keine 14 Jahre, von daher darf man da gerne noch einiges aufaddieren) gegen Michael Feske.
Und dann war da noch die Partie zwischen Ante Filipovic (1700) und Tobias, das heißt, sie war nicht mehr, Tobias war gesundheitlich angeschlagen und steuerte so den Remishafen an, wogegen sich Ante nicht so richtig ausdrücklich wehrte, und noch bevor die anderen Partien wirklich begonnen hatten stand es Nullkommafünfzunullkommafünf. Mehr Post ging hingegen bei Haschem ab – sein Gegner wählte die stürmische Variante mit h4 und g4, Haschems einzig entwickelte Figur, der Lh7, tauschte sich dann ab, und nun zog er erst einmal nur noch die Dame. Aufgrund eines gegnerischen Übersehers konnte diese mit einer Figur und drei Bauern allerdings mehr an Material abgreifen als erhofft, und nun galt es nur noch irgendwie dem Entwicklungsrückstand zu entkommen, aber das musste gewonnen sein und war es letztlich auch. 1,5:0,5
Auch einiges los war in der unteren Hälfte: Michael konnte mithilfe einiger taktischer Drohungen auf einmal forciert Siyuans Bauernstruktur und Rochade zerlegen und die weißen Figuren in einen Klumpen zusammenführen, das sah schon einmal gut aus. Lukas kam normal aus der Eröffnung heraus, musste dann aber aufgrund eines Übersehers einen Bauern spucken, für den er allerdings einiges an Kompensation bekam. David engte den schwarzen König und die Figuren um ihn herum effektiv ein, nachdem er in seinem Aufbau eher ungewöhnliche Springerpfade bestritt. Wenig Raum für die schwarzen Klötze, gerade die schwereren, war die Folge. Und Rainer schwankte etwas vom stocksoliden Start über eher merkwürdige Bauernstrukturen mit schwach scheinendem Läufer bis hin zu einer sehr guten Stellung.
Lassen wir uns nun die erste Weißpartie wegwerfen, wenngleich ohne allzu dramatische Effekte, aber Said fühlte sich trotz Raumvorteils unwohl, und als sein Gegner dann Massentäusche erzwang stand die Diskussion des Endspiels Grottenläufer gegen Katastrophenläufer an. Marten konnte hingegen auf den eher ungewöhnlichen Aufbau seines Gegners mit Db6 a tempo seine gesammelten Leichtfiguren zentral und raumgreifend aufbauen, nur um danach die zweite Weißpartie wegzuwerfen, einmal den Springer auf das falsche Feld, und der Vorteil war dahin, einmal den Springer nicht gezogen und statt sehr guter Stellung wurde es kritisch. Die kritischste Linie wurde allerdings nicht gefunden, und auch hier tauschte es sich general, und die letzten Züge schwankte die Bewertung Stockfishs nur noch zwischen +0,00 und -0,00, sodass der Handschlag zum 2:1 für die Diagonale folgerichtig war.
Und um die vorderen Bretter endlich zu leeren deutete auch Said nun an, dass bei lediglich Läuferzügen entlang der Diagonale b3-d1 (a4 war verbauert) nichts, aber auch überhaupt nichts mehr passieren würde. Somit 2,5:1,5 an den ersten vier Brettern, das entsprach dem zu Erwartenden nach DWZ. Fast die gleiche Erwartung hatten wir auch unten, was war dort passiert? Nun, zunächst hatte Rainer als dritter eine Weißpartie etwas versandet, plötzlich musste er unterquallifiziert mit Springer gegen Turm ein Endspiel verteidigen. Michael hatte dafür einen Bauern gewonnen, aber die Stellung der weißen Figuren war jetzt deutlich aktiver als zuvor, während Dave genau dieses vermeiden wollte und daher vorerst auf einen Angriff setzte statt zählbares einzustreichen. Lukas hingegen hatte weiterhin einen Bauern weniger, allerdings seinen Turm auf der siebten (also zweiten, er war ja schwarz) Reihe, sodass der weiße König nicht mehr von h1/g1 wegkam und daher die Friedenspfeife anzünden zu wollen signalisierte. Lukas, noch den langen Fußmarsch gen Heimat vor Augen, akzeptierte. Weitere Remisangebote ereilten in zunehmend höherer Frequenz Michael und Dave, diese wollten allerdings ihre besseren Stellungen lieber noch ein wenig weiterspielen, denn Rainers Wenigerqualle konnte durchaus sonst das Mannschaftsremis bedeuten. Wobei sich die Lage an jenem Brett entspannte, nach diversen Abtäuschen standen nur noch jeweils f-g-h-Bauern ohne erkennbare Schwächen. Sicherlich theoretisch gewinnbar für schwarz, aber technisch bei weitem kein Selbstläufer.
Gefühlte sieben abgelehnte Remisgebote (oder 10 Minuten) später drohte David bereits alles zu gewinnen, Qualle und Bauern, als das Plättchen Günter Schmidts im 38. Zug fiel. Ja, endlich wieder einmal die guten alten Analoguhren. Das war das 4:2, allerdings wäre auch ohne Zeit die Partie demnächst vorbei gewesen. Michael nahm nun sein ihm zustehendes Remisangebot endlich an – der Mannschaftssieg in der Hand ist nun einmal lieber als der Mehrbauer im Turmendspiel auf dem Dach. Und auch Rainers Gegner machte keinerlei Fortschritte, eher im Gegenteil, und angesichts des nun entschiedenen Mannschaftskampfes willigte auch er in die Punkteteilung ein.
Damit ein 5:3, was natürlich 0,07 Brettpunkte unter der Erwartung nach DWZ war, zwischendurch teils wackelig schien, und durchaus speziell in den Weißpartien außer Dave Luft nach oben hatte. Nichtsdestotrotz ein wohl dem Spielverlauf entsprechend gerechtes Ergebnis mit dem wir zwischen den beiden HSK-Teams, die beide diese Runde abgaben, auf Platz 2 stehen und damit weiterhin so tun können als hätten wir Aufstiegschancen. Mit dem Abstieg zu tun haben werden wir wohl eher nicht mehr, dieses wird sich aller Voraussicht nach zwischen Schwarz-Weiß, Blankenese, St. Pauli und Wedel entscheiden, hier können wir dem Nachbarn hoffentlich noch zwei Mal Schützenhilfe leisten. Zunächst aber geht es zur Vorvorentscheidung gegen HSK XIII. Und noch zunächster machte sich auch Marten auf den Heimweg aus der AWO in der Heimfelder Straße, der aber möglicherweise kürzer als jener von Lukas war.